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Zeichnung: © Egbert Herfurth

KISCH AUF JEDEN TISCH

An dieser Stelle wird über Neuigkeiten infor-
miert, die sich auf Leben und Werk von
Egon Erwin Kisch beziehen: Neuauflagen
und Neuausgaben von Kischs Werken; Publi-
kationen in Zeitungen und Zeitschriften;
Beiträge im Hör- und Fernsehfunk; Ausstel-
lungen; Veranstaltungen jeglicher Art.
Wer an Publizität auf dieser Seite interes-
siert ist, kann diesbezügliche Informatio-
nen, Kopien von Veröffentlichungen etc.
an Klaus Haupt senden.

 

 

 

 

 

Kisch & Co
In der Oranienstraße 25 gibt es einen Buchladen mit dem originellen Namen: Kisch & Co. Er befindet sich im Künstlerhaus Bethanien mit Gewerbehof aus dem Jahre 1910. Kisch & Co war kürzlich in mächtiger Bredoullie. Der Hauseigentümer, der berühmte Kunstsammler Berggrün, hat Kisch&Co gekündigt. Sogar ein Nachmieter stand unter Vertrag: Der vigilante Brillen-Verkäufer Ace&Tate aus Amsterdam. Kisch&Co-Eigentümer Torsten Willenbrock kann man jedoch nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Er lässt Flyer drucken mit den Adressen von Berggrüns Häusern in Berlin, mobilisiert seine Sympathisanten, diese Druckschriften dort zu verteilen, organisiert eine Kundgebung vor dem Büro der Berggrün-Holding, auf denen gegen die geplante Vertreibung protestiert wird und die an Berggrüns Häuser verschickt werden. Ein Kisch&Co-Freund bringt gar ein Buch zur Berggrün-Holding mit der Inschrift: »Können Sie sich eine Welt ohne Bücher vorstellen?« Der öffentliche Druck hat Wirkung und die Berggrün Holding schließlich Einsehen. Die Kündigung wird zurück gezogen. Berggrün bekommt davon live natürlich nichts mit. Er lebt in Amerika. Dennoch: Kompliment. Nun hat Willenbrock die nächste Hürde zu nehmen: Eine Insolvenz. Der Verkauf seiner Bücher reicht nicht für die Ladenmiete. Also alle hin in die Oranienstraße 25: Kauft Bücher bei Kisch&Co.                                                                             April 2017


Hentrich & Hentrich
Alljährlich bekomme ich einen Brief vom Berliner Verlag Hentrich & Hentrich. Dieses Verlagshaus widmet sich ausschließlich der Herausgabe jüdischer Literatur und von Werken zur Zeitgeschichte, Schriften des Centrums Judaicum, Schriften zur Topographie des Terrors u. a. Das Glanzstück aber sind die jüdischen Miniaturen. In dieser kleinen Bücherreihe werden Porträts von jüdischen Persönlichkeiten veröffentlicht, die Deutschland mit ihren Werken unermeßlich bereichert haben – und ohne die dieses Land niemals das wäre, was es ist. Da findet man Albert Einstein und Anna Seghers, Paul Levi, Salamona Rossi und Kurt Tucholski. Herausgeber Reihe ist Hermann Simon, der Chef des Centrums Judaicum. Es war im Jahre 2008, da rief ich im Verlag an und hatte den alten Herrn Hentrich am Apparat. Ich konnte mich gar nicht so schnell auf die Socken machen, wie er mich erwartete. Im Nu waren wir uns einig. Da die Büchlein dieser Reihe einen farbigen Einband haben, fiel mir die Wahl zu. Ich nahm Blau, meine Lieblingsfarbe. Und als Porträt in einem Medaillon auf dem Einband wählte ich das Kischs Cousin Edmund Ascher gemalt hat: Kisch mit Butterblume, wie man den kreissägerunden Strohhut nennt. In dem Brief teilt mir die jetzige Besitzerin des Verlages, Dr. Dora Pester, mit, das von meinem Kisch-Büchlein – das nur noch im Jüdischen Museum in der Torstraße in Berlin angeboten wird – im vergangenen Jahr 35 Exemplare verkauft worden sind. Immerhin. Jegliche andere Literatur ist nach so langer Zeit von der Bildfläche längst verschwunden.                  April 2017


Eddi und Upton
Dr. Edmund Schulz ist kurz vor seinem 84. Geburtstag verstorben – mein Freund Eddi aus Leipzig. Kennen gelernt haben wir uns bei Ossietzky. Ich hatte einen Beitrag über Kisch veröffentlicht und er hatte eine ergänzende Bemerkung dazu. Das ist lange her – es war noch im vorigen Jahrhundert. Seitdem standen wir in Kontakt, der immer enger wurde. Und im Laufe der Zeit entstand daraus eine Freundschaft. Immer, wenn Eddi irgendwo etwas über Kisch entdeckt hatte, rief er mich an. Und so, wie ich meine ganze Aufmerksamkeit dem Wirken und Werk dieses Jahrhundert-Journalisten widme, so galt seine literarische Arbeit Upton Sinclair. Dem in Deutschland meistverkauften und meistgelesenen Autor der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Upton Sinclair war vor allem in den Arbeiterfamilien zu Hause. Er gab mit seinen Büchern. Mut und Hoffnung. – so, wie sein Freund Egon Erwin Kisch. Eddi war im deutschsprachigen Raum der absolute Sinclair-Experte. Verdient gemacht hat er sich mit einer Bibliographie über ihn. Er hat eine immense Arbeit geleistet, um das gesamte in Deutschland vorliegende Werk zu erschließen. Eddies Lebensweg hat in einfachen Verhältnissen begonnen. In Kiel ist er geboren und aufgewachsen. Als er sich die Welt ansah, stellte er fest, dass die Freie Deutsche Jugend auch seine Ziele Vertrat: Frieden, Freundschaft, Völkerverständigung. Wer sich dafür einsetzte und noch dazu seine Sympathie für die DDR nicht verhehlte – der hatte nichts Gutes zu erwarten im Adenauerstaat. Mit dem Altnazi Globke und den zahllosen Nazimördern in allen Schlüsselpositionen. Aufgrund seiner politischen Aktivitäten drohte Eddi eine Gefängnishaft. Dem entzog er sich, indem er 1953 als 20jähriger in die DDR übersiedelte. Hier erhielt der Arbeiterjunge die Möglichkeit zum Studium und zur Promotion. An der Karl-Marx-Universität Leipzig fand er Erfüllung als Journalistikwissenschaftler. »Er hatte sich noch soviel vorgenommen bei seiner Arbeit über Sinclair.«, sagte mir seine Witwe. »Er war immer noch nicht fertig.« Adieu, Eddi. Alles Gute da oben – auch mit Upton Sinclair.                                                                     April 2017


Der Arbeiterfotograf

Hermann Leupold (1900-1967) war ein warmherziger, gutmütiger Mensch. Immer sprach er leise und bedächtig. Niemals hörte ich aus seinem Munde ein lautes oder böses Wort. Ich lernte ihn kennen, da war ich siebzehn. Im Jahre 1947 bin ich in den Berliner Verlag eingetreten, dessen Chef er war. Insbesondere aber widmete er sich der Fotografie. Hermann Leupold hatte seine Laufbahn als Arbeiterfotograf begonnen. Ja, man kann ihn gut und gerne als Vorkämpfer der Arbeiterfotografen und der Arbeiterfotografie bezeichnen. Er war maßgeblich beteiligt am Zusammenschluß der Arbeiterfotografen in Deutschland, an der Gründung und Herausgabe des Vereinsorgans »Der Arbeiterfotograf«. Neben anderen Funktionen war er in der Weimarer Republik Präsident der Vereinigung der Arbeiterfotografen Deutschlands und Mitglied im Reichsvorstand der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). Im Jahre 1929 wurde er Umbruchredakteur der wöchentlich erscheinenden Arbeiter Illustrierten-Zeitung (AI-Z), mit 550 Tausend Exemplaren Auflage die einflußreichste kommunistische Publikation in Deutschland. In dieser Zeit hatte er engen Kontakt zu Egon Erwin Kisch, mit dem ihn bis zum Lebensende eine herzliche Freundschaft verband. Nach der Machtübernahme der Faschisten erschien das Blatt in Prag, bis dort im Jahre 1938 die deutschen Faschisten einfielen. Hermann Bruno Paul Leupold emigrierte nach England und nahm das Pseudonym Karel Vanek an. Im Berliner Verlag – wo ich in der Bildredaktion der »Berliner Zeitung« sowie der Wochenzeitschrift für junge Leute, »Start«, beschäftigt war, hat er mich ein wenig unter seine Fittiche genommen. 1949 habe ich dort ein Volontariat absolviert.                                        März 2017


Ein Hamburger grüßt

René Senenko aus Hamburg, den ich bei einer Münzenberg-Veranstaltung in Berlin kennen gelernt habe, schreibt, dass er die stets interessanten - den Umständen entsprechend leider seltenen - Kisch-Neuigkeiten sehr gern lese. Der Hamburger bemüht sich seinerseits sehr rührig, Leben und Werk des Hamburger Arbeiterschriftstellers Willi Bredel (1901-1964) wach zu halten. Bredel ist u. a. Autor der Romantrilogie »Verwandte und Bekannte« (»Die Väter« - »Die Söhne« - »Die Enkel«).                                Dezember 2016


Symphatisant aus den Niederlanden
Ein Symphatisant aus den Niederlanden hat sich gemeldet: Eveert Meyjer aus Leeuwarden. Er habe seine »Liebe zu Egonek entdeckt als ein Teil/Kapitel meiner Studien im Jahre 1920«, schreibt er. Und dann fragt er: »Hat Egonek auch über den Ersten Weltkrieg geschrieben?. - Ja, das hat er. Kisch hat mit dem Prager Hausregiment an der serbischen Front gekämpft und ist dort verletzt worden. Während des Fronteinsatzes hat er sich ständig Notizen gemacht. Seine Kameraden, denen das natürlich nicht entgangen ist, haben daraufhin - wenn etwas Besonderes passiert ist - gerufen: »Schreib das auf, Kisch!« Unter diesem Titel ist im Jahre 1930 im Erich Reiss Verlag Berlin eine Neuauflage seines Kriegstagebuches erschienen. Zuerst hatte es der Verlag der Andréschen Verlagsbuchhandlung Leipzig-Prag als »Soldat im Prager Korps« im Jahre 1922 herausgebracht.                              Dezember 2016


Freiheitskampf vor 80 Jahren

Vor 80 Jahren, im November 1936, hat in Spanien der antifaschistische Freiheitskampf gegen die Truppen des spanischen Generals Franco sowie seiner Verbündeten Hitler und Mussolini begonnen. Die drei Faschistenführer wollten die demokratisch gewählte Regierung der zweiten Republik vernichten. Zu den brutalen faschistischen Kampfmethoden gehörte auch der Einsatz deutscher Sturzkampfbomber - Stukas genannt. Diese modernen Kampfflugzeuge haben im Auftrage Hitlers die baskische Stadt Guernica dem Erdboden gleichgemacht und vorsätzlich hunderte Frauen und Kinder gemordet. Der Spanier Pablo Picasso hat darauf das weltbekannte Gemälde »Guernica« geschaffen. An dem Kampf gegen den internationalen Faschismus haben auch zehntausende Freiwillige aus aller Welt teilgenommen. Diesem Thema hat neues deutschland am 17. November einen ausführlichen Artikel gewidmet. Darin wird über ein Gedenken an Schauplätzen der damaligen Kämpfe berichtet, an denen – bis auf den 97 jährigen Joseph Almudever, den einzigen Überlebenden jener Kämpfe – ausschließlich Nachkommen der Interbrigadisten aus etwa fünfzehn Ländern teilgenommen haben. Ausführlich wird der Besuch in dem ursprünglichen Luxusort Benecasim bei Valencia berichtet, der zum Lazarettort für die Interbrigadisten umgewandelt worden war. In dem Lazarett arbeitete der Jüngste der fünf Kisch-Brüder – Bedrich Kisch – als Chirurg. Er verarztete auch Max Baier, den Helden in Egon Erwin Kischs berühmter Spanien-Reportage »Die drei Kühe«.            November 2016


Wagenbach im Nahverkehr

Erst jetzt ist mir, leider, ein ganz und gar außergewöhnliches Büchlein in die Hände geraten: »Störung im Betriebsablauf - 77 kurze Geschichten für den öffentlichen Nahverkehr - gesammelt von Klaus Wagenbach«. Es sind nicht nur kurze Geschichten, sondern kürzeste und noch kürzere. Manche fast nicht länger als eine Anekdote. Wagenbach hat seine Fundstücke in Gruppen geordnet:
Auf dem Bahnsteig - Kürzeststrecken - Unterbrechung: Fahrscheinkontrolle - Kurzstrecken Fortsetzung - Zwei Stationen - Drei Stationen. Oder: Halt auf freier Strecke - Überland. Um dem Leser eine besondere Spannung zu liefern, hat er den Texten den Namen von Autorin oder Autor versagt. So könnten zwei Personen die Texte zusammen lesen und zugleich die Herkunft erraten, empfiehlt Wagenbach. Wer die Mehrzahl der Schöpfer der Texte erkennt, hat gewonnen. Im Anhang werden sie natürlich angeführt, genauso wie die Quellen. Am Anfang des Büchleins stehen zwei Prager. Als Vorwort gewissermaßen eine Kurzgeschichte von Franz Kafka in originaler Schriftgröße und Typographie der Erstausgabe. (»Ein Landarzt«, 1919). Und das Motto lieferte Egon Erwin Kisch: »Die Untergrundbahn ist ein wesentliches Kennzeichen der Großstadt. Oben auf der Straße ist kein Platz mehr für die Menschen.« Das gute Stück hat 144 Seiten, ist broschiert in schlanker Klappenbroschur und kostet 9,90 Euro.                                       Juni 2016


UMBO mit Kisch in Berlin

UMBO ist ein Künstlername, der in den »Goldenen Zwanzigern« der Weimarer Republik berühmt gewesen ist. Viele Jahrzehnte war er in Vergessenheit geraten. Nun ist er wieder vor das Objektiv der Öffentlich geholt worden. Hinter dem Künstlernamen verbirgt sich der Fotograf Otto Maximilian Umbehr (1902 – 1980). In Berlin ist er 1926 zur Fotografie gekommen. Neuartige Porträtaufnahmen der Berliner Bohemé hat er geschaffen, Charakteristisch für seine Schwarz-Weiß-Fotografien sind harte Licht-Schatten-Kontraste sowie ungewöhnliche Perspektiven und Ausschnitte. Ein Porträt mit Hand von Ruth Landshoff (1906 – 1966) machte ihn in der Kunstszene schlagartig berühmt. Eigentlich Ruth Landshoff York, war sie ein Glitzergirl und eine Stilikone jener Zeit. Sie stammte aus dem jüdischen Bürgertum, war Nichte des Verlegers Samuel Fischer (1859 – 1934). UMBO ist zu einem der Begründer einer neuen Foto-Ästhetik geworden – dem »Neuen Sehen«. Ein weiteres Hauptthema war für ihn die Melancholie der Großstadt. Als Flaneur durchstreifte er Berlin mit der Kamera. UMBO war 1921 bis 1923 Schüler des staatlichen Bauhauses in Weimar. Dort ist er stark durch die »Grundlehre« von Johannes Itten (1888 – 1967) beeinflußt worden. Er gilt neben László Moholy Nagy (1885 – 1966) als der bedeutendste Fotograf des Bauhauses. Allerdings hatte er auch eine schwache Seite. Er ließ sich von König Alkohol packen; einmal ist er im legendären Romanischen Café volltrunken ohnmächtig zusammen gebrochen. In diesem Treffpunkt der Berliner Bohemé hat er vermutlich auch Kisch kennen gelernt. Von ihm hat UMBO 1926 die berühmte Fotomontage als hybriden Superreporter angefertigt Er sieht alles, er hört alles, er spricht über alles und schreibt darüber – der Mann, dem nichts entgeht: Zigarettenkippe im Mund, ein Ohr als Schalltrichter, ein Auge als Kamera, rechte Hand als Schreibfeder, Beine als Schnellläufer aus Stahlrohr. Der größte Teil von UMBOS Werken – schätzungsweise 50 000 bis 60 000 Negative – sind in einer Bombennacht des Jahres 1943 in Berlin verbrannt. Einen Großteil des Restes seines Lebenswerkes – über 600 Fotografien und Schriftstücke – haben nach langwierigen Bemühungen das Sprengel Museen in Hannover, die Stiftung Bauhaus Dessau und die Berlinische Galerie erworben. In der Hauptstadt – dort wo Kisch zwischen 1921 und 1933 seinen Lebensmittelpunk hatte – befindet
sich nun auch die Fotomontage des Rasenden Reporters.               Juni 2016


Kisch Preis für Königsklasse

Das Verlagshaus Gruner+Jahr und das in ihm erscheinende Magazin »stern« haben den Nannen Preis 2016 in sechs Kategorien verliehen:
Reportage, Web-Reportage, Investigation, Dokumentation, Foto-Reportage und Inszenierte Fotostrecke. 982 Texte sind eingereicht worden Mit diesem Preis will man »Qualitätsjournalismus im deutschsprachigen Raum fördern und pflegen«. Die Reportage als Königsklasse des Jounalismus wird nach wie vor als Egon-Erwin-Kisch Preis verliehen. Als solcher war die begehrte Trophäe im Jahre 1977 von Henry Nannen gestiftet worden. Sie wird traditionsgemäß unmittelbar vor dem Geburtstag des Rasenden Reporters am 29. April (29.04.1885 – 31.03. 1948) verliehen. 2016 ist Jan Christoph Wichmannn damit geehrt worden. In einer »Stern«-Reportage mit dem Titel »Drei Krieger« hat der Autor einen Bundeswehr-Soldaten, einen Taliban-Kommandanten und einen US-Piloten porträtiert, die am 2. April 2010 bei einem Gefecht in Nord-Afghanistan aufeinander getroffen waren.                            April 2016


Kisch und das Judentum

Das Ludwig Rosenberg Kolleg (LRK) des Moses Mendelsohn Zentrums und der Hans-Böckler-Stiftung hat Ende Januar Anfang Februar in Berlin eine Tagung zum Thema »Streben nach Emanzipation? Judentum und Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert« abgehalten. Da konnte Egon Erwin Kisch natürlich nicht fehlen. Ihm hat sich eingehend Marcus Patka vom Jüdischen Museum in Wien gewidmet. »Sein Judentum war ihm weder Makel noch Auszeichnung, sondern Zufall der Geburt«, konstatierte Patka. »Quer durch sein literarisches Werk ziehen sich Beobachtungen über jüdische Gemeinden aus Geschichte und Gegenwart in aller Welt. Vor der kultur-historischen Leistung seiner Vorfahren hatte Kisch größten Respekt, doch den Wunderglauben des Ostjudentums und sein Verharren in mittelalterlichen Strukturen lehnte er ab.« Anja Jungfer vom LRK referierte über die kommunistische Emigrantenzeitschrift »Gegen Angriff«, die ab April 1933 in Prag unter Chefredakteur Bruno Frei erschienen ist. Sie stellte unter anderem fest: »Der ›Gegen Angriff‹ befasste sich recht intensiv mit der aktuellen Lage der Juden, wobei sie nicht ausschließlich auf die zunehmenden nationalsozialistischen Repressalien innerhalb Deutschlands und deren innenpolitische Funktion zum Machterhalt rekurrierte.« Anja Jungfer beschäftigt sich seit Jahren auch intensiv mit Kisch. Ihre Magisterarbeit an der Uni Potsdam hat das Thema »Bezug zum Judentum in Egon Erwin Kischs Gesamtwerk«. Und ihre Dissertationsarbeit schreibt sie über »Kisch, Otto Katz, Lenka Reinerova und F. C. Weiskopf beziehungsweise über deren Berührungspunkte zu Judentum und Arbeiterbewegung«. Der Journalist Otto Katz (1893-1952), er publizierte unter dem Namen André Simone, war federführend beteiligt an der Herausgabe des »Braunbuches über Reichstagsbrand und Hitler-Terror«, der ersten Dokumentation über die Naziverbrechen. Lenka Reinerová (1916-2008), wie Kisch in Prag gebürtig und wie er zuerst nach Frankreich und von dort nach Mexiko emigriert, war in den letzten Jahren ihres Lebens die Rolle der Grand Dame der Prager deutschen Literatur zugefallen. Sie hat unter anderem mehrere Bände mit Erzählungen veröffentlicht. Der Journalist und Schriftsteller F. C. (Franz Carl) Weiskopf (1900-1959) war Chefredakteur der legendären »Arbeiter-Illustrierte Zeitung«, als sie bis zum Einmarsch der deutschen Okkupanten 1938 in Prag heraus gegeben worden ist, nachdem sie 1933 vor dem Naziterror aus Berlin hatte fliehen müssen.                                                                 Februar 2016


Das 105. Berliner Sechstagerennen

»Zum zehnten Male, Jubiläum also, wütet im Sportpalast in der Potsdamer Straße das Sechstagerennen. Dreizehn Radfahrer, jeder zu einem Paar gehörend, begannen am Freitag um neun Uhr abends die Pedale zu treten, siebentausend Menschen nahmen ihre teuer bezahlten Plätze ein, und seither tobt Tag und Nacht, Nacht und Tag das wahnwitzige Karussell. An die siebenhundert Kilometer legen die Fahrer binnen vierundzwanzig Stunden zurück.« So beginnt Kischs berühmte Reportage »Elliptische Tretmühle« über dieses sportlich Großereignis im Berlin der »Goldenen Zwanziger«. Am 28. Januar 2016 hatte dieses weltweit am häufigsten ausgetragene Sechstagerennen ein Jubiläum: »Im Velodrom startet heute das 105. Sechstagerennen. Zu einer Zeit, als die Radfahrer noch im Sportpalast um die Wette rasten, war Reporterlegende Egon Erwin Kisch dabei. Wir veröffentlichen hier seine Reportage aus dem Jahr 1925.« So kündigt Der Tagesspiegel den Abdruck dieses Kisch-Klassikers in der Ausgabe vom 28. Januar an. Zum ersten Mal ist das Sechstagerennen im Sportpalast 1911 ausgetragen worden – ein Jahr nachdem der Sportpalast eröffnet worden ist. Kischs Reportage berichtet vom Jubiläumsrennen im Jahre 1923. Gedruckt ist sie erstmals in dem Reportagebuch »Der rasende Reporter«, im Erich Reiss Verlag Berlin erschienen mit Jahresangabe 1925. Aber bereits zum Jahresende 1924 ist der Titel, mit dem Kisch der Durchbruch auf dem deutschen Buchmarkt gelungen ist, im Handel gewesen.                           Januar 2016


Rudolf Schlichter in Koblenz

Unter dem Titel »Eros und Apokalypse« zeigt das Mittelrhein-Museum in Koblenz von November 2015 bis Mitte Februar 2016 eine Werkschau von Rudolf Schlichter (1890 – 1953). Schlichter war ein herausragender Künstler der Goldenen zwanziger Jahre in der Weimarer Republik und neben George Grosz und Otto Dix einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Einige seiner Werke werden zu den allgemein anerkannten Ikonen der Kunst des 20. Jahrhunderts gezählt, in erster Linie die Porträts von Bertolt Brecht im Münchner Lenbachhaus und Egon Erwin Kisch in der Mannheimer Kunsthalle
(Öl auf Leinwand, 88 x 62 cm). Schlichter hat Kisch vor einer Litfaßsäule vor dem legendären Romanischen Café in Berlin postiert, wo der Mann aus Prag seit seiner Ankunft in Berlin Ende 1921 einen Stammplatz hatte. Die Litfaßsäule ist mit Plakaten versehen, die auf unterschiedlichste Texte und Aktivitäten des rasenden Reporters verweisen: Seinen Einsatz für die Arbeiterorganisation Rote Hilfe; den entschiedenen Kampf zur Freilassung des sächsischen Arbeiterführers Max Hoelz, der mit Hilfe einer fingierten Mordanklage im Jahre 1921 zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden war; das 1927 erschienene Buch des amerikanischen Reporters John Reed »Zehn Tage, die die Welt erschütterten« über die Oktoberrevolution, zu dem Kisch das Vorwort geschrieben hat; Werbungen für den Erich Reiss Verlag Berlin, in dem der größte Teil der Kisch-Bücher zuerst verlegt worden ist sowie für den Neuen Deutschen Verlag des linken Münzenberg-Konzerns, der auch etliche Kisch-Titel herausgebracht hat; und schließlich ein Plakat für ein Fußballspiel in Prag, das daran erinnert, dass Jung-Egonek Mitbegründer des Prager Fußballklubs »Sturm« gewesen und schließlich zum Ballwart und Kapitän erkoren worden ist. Natürlich hat Schlichter auch nicht auf die obligatorische Zigarette im rechten Mundwinkel des Jahrhundert-Journalisten verzichtet. Eine Abbildung des Gemäldes ziert den Schutzumschlag des Buches »Kisch war hier – Reportagen über den rasenden Reporter« von Klaus Haupt und Harald Wessel, erschienen zu Kischs 100. Geburtstag im Jahre 1985 im Verlag der Nation Berlin.                                                                Dezember 2015


Museum für Christian Schad

Die Stadtverwaltung von Aschaffenburg hat Anfang November mitgeteilt, dass ab 2017 das umfangreiche Werk des Malers Christian Schad (1894-1882) in einem eigens dafür gebauten Museum in der fränkischen Stadt ausgestellt wird. Die 2002 verstorbene Witwe des Künstlers, Bettina Schad, hatte die Sammlung ihrer Christian-Schad-Stiftung vermacht. Es handelt sich dabei um mehr als 3000 Werke aller Gattungen, die nunmehr nicht nur präsentiert, sondern auch wissenschaftlich aufbereitet werden sollen. Christian Schad hatte bis zu seinem Tode fast vierzig Jahre in oder bei Aschaffenburg gelebt. Berühmt ist er für seine realistischen Porträts von Zeitgenossen der Weimarer Republik sowie für seine abstrakten Fotogramme geworden. Zu den Berühmtheiten, die er auf Leinwand verewigt hat, gehört Egon Erwin Kisch. Schad hat dafür eine außergewöhnliche Position gewählt: Der rasende Reporter vor einem Baukran mit freiem Oberkörper – versehen mit echten bzw. vorgetäuschten Tätowierungen. Verbürgt ist: Auf einer Postkarte aus Kopenhagen, die am 13. IV. 1924 abgestempelt ist, berichtet Kisch seiner Prager Freundin und Mitarbeiterin Jarmila Haasová: »Heute habe ich mir einen herrlichen Neger auf die Schulter tätowieren lassen, damit ich eine ewige Erinnerung an Kopenhagen habe.« Kisch war ein Freund von Tätowierungen.
In seinem autobiografischen Buch »Marktplatz der Sensationen« erzählt er folgende Geschichte: Während seiner Einjährig-Freiwilligen Militärzeit war er wegen Ungehorsams zu einer Haft in Einzelzelle verurteilt worden.
Zur gleichen Zeit war auch ein Lithograph inhaftiert, der während abendlicher Zellenfreigänge seinen Mithäftlingen Tätowierungen verpaßte. Statt, wie vereinbart, eines harmlosen Stillebens hat der Litograph auf Kischs Rücken »hinterlistig und hinterrücks die bösartigste Karikatur« eingestochen: Das Porträt des kommandierenden und legendären Oberst Ferdinand Knopp von Unterhausen, der schon unter Feldmarschall Radetzky gedient hatte. Die Geschichte »Das tätowierte Porträt« gehört zu den Glanzstücken der Heiterkeit in Kischs Buch. Sie endet mit der Schilderung, wie die Frau des Obersten das Bildnis in Augenschein nimmt. »›Ferdinand!‹ flüsterte die Frau Oberst bewegt, als sie ihren Mann vor sich sah, ›mein Ferdl‹, hauchte sie hingebungsvoll und beugte sich nieder, um ihn mit Küssen zu bedecken.«
                                                                                                       
Dezember 2015


Hauptpreis: Kisch-Trophäe

Gruner + Jahr hat in eigener Sache bekannt gegeben, dass nach einjähriger Pause der 2005 begründete Henry Nannen Preis im Jahre 2016 wieder vergeben wird. Das neue Konzept bietet »mehr Journalismus, weniger Brimborium«. Der renommierteste deutsche Journalistenpreis – jetzt einfach »Nannen Preis« benannt – wird in sechs Kategorien verliehen. Die gedruckte Form werde jedoch weiterhin »die Königsklasse« sein, wird betont. Dabei steht die Reportage an erster Stelle: »Die nun wieder auch offiziell Egon-Erwin-Kisch genannte Trophäe gilt als Hauptpreis.« Es sei »wohl auch gut so«, heißt es, dass Nannen »damit nicht mehr ganz so präsent« sei. Es habe nämlich in der Vergangenheit mehrfach Eklats gegeben, weil internationale Preisträger auf Nannens Vergangenheit als Kriegsberichterstatter des Naziregimes verwiesen haben, den Preis zurück geben und die dazu gehörende Bronzebüste des Stifters einschmelzen wollten. Nannens Bronzebüste gehört deshalb künftig auch nicht mehr zum Preis. Es sei eine neue Preisikone vorgesehen. Die Preise werden am 28. April in Hamburg verliehen. Gastgeber der Verleihung ist der »stern«.                                                                     November 2015


Große oder kleine weiße Taube

Unter der Überschrift »Anfrage« vom Juni des Jahres ging es um Kischs Aufenthalt im Frühjahr 1927 in der Pension Weiße Taube in Bollersdorf bei Buckow in der Märkischen Schweiz. Im Hintergrundgrund stand auch die Frage, in welcher weißen Taube Kisch gewohnt hat: In der großen weißen Taube auf einer Anhöhe oder in der kleinen weißen Taube direkt am Ufer des Schermützelsees. Harald Schadek vom Freundeskreis John Heartfield Waldsieversdorf e. V. hat für Klarheit gesorgt. Er schickte ein Jahrbuch »Märkisch-Oderland«. Unter der Überschrift »Der rasende Reporter in Bollersdorf« schreibt er, dass es die kleine weiße Taube gewesen ist. Zum Beweis ist eine Ansichtskarte abgedruckt, die Kisch am 23. März 1927 an seine Mutter Ernestine nach Prag geschrieben hat. Auf dem Bild ist die Pension abgebildet mit der Unterschrift: »Historische kleine weiße Taube – Bad Buckow.« Die große weiße Taube existiert noch. Die Kleine ist vor vielen Jahrzehnten abgerissen und durch ein Gebäude ersetzt worden, in dem in der DDR das Betriebsferienheim der Redaktion »Junge Welt« untergebracht war und in dem sich nun Hotel und Restaurant »Johst am See« befinden. René Senenko von der Willi-Bredel-Gesellschaft/Geschichtswerkstatt e. V. in Hamburg berichtete von einem Ausflug mit einer Gruppe von Mitgliedern der Gesellschaft auf den Spuren des rasenden Reporters nach Bollersdorf. Er übermittelte ein Foto, das ihn und seine Gefährten vor dem Gedenkstein mit der Aufschrift zeigt: »EGON ERWIN KISCH – 1927«. Der durch die Zeiten rund geschliffene Naturstein ist zu Kischs 100. Geburtstag am 29. April 1985 von Verlag und Redaktion »Junge Welt« in der Nähe des Platzes aufgestellt worden, an dem einst die »Historische kleine weiße Taube« stand. Etwa von dieser Stelle aus führt auch ein Sandweg aufwärts zur großen weißen Taube, der aus selbem Anlaß 1985 zum Egon-Erwin-Kisch Weg getauft worden ist.
                                                                                     Oktober 2015


Kisch beim »Münzenberg-Konzern«

Ein Internationaler Willi Münzenberg Kongress hat in der zweiten Septemberhälfte in Berlin stattgefunden. Thema war u. a. die Leistung des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Münzenberg (1889-1940) bei der Schaffung eines Geflechts publizistischer Unternehmen als proletarische Gegenöffentlichkeit zu dem reaktionären Medienkonzern (u. a. Scherl-Verlag, Ufa) von Alfred Hugenberg, dem Deutschnationalen, Finanzier und Wegbereiter Hitlers, sowie zu der Lügenpropaganda des Nazis Josef Goebbels. Nachdem Münzenberg 1921 von Lenin mit der Organisation einer Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) für die Hungernden in Sowjetrußland betraut worden war, kaufte er 1924 den »Neuen Deutschen Verlag«. Damit war in Berlin der Grundstein gelegt für das, was später intern »Münzenberg-Konzern« genannt wurde. Dazu gehörten: die illustrierte Wochenzeitschrift »Arbeiter-Illustrierte Zeitung« (A-I-Z) mit einer Spitzenauflage von rund 500 000 Exemplaren, berühmt für die Titelseiten mit Fotomontagen von John Heartfield; die Tageszeitungen »Welt am Abend« und »Berlin am Morgen«; die Zeitschriften »Mahnruf«, »Magazin für Alle«, und »Welt der Frau«; die Filmfirmen »Prometheus« und »Weltfilm«; sowie schließlich die »Universum-Bücherei für Alle«. Zu den prominenten Autoren des Unternehmens zählte Egon Erwin Kisch. Er verfaßte für die Tageszeitungen u. a. Artikel und Berichte, für die »A-I-Z« schrieb er Reportagen und lieferte auch frische Texte von seinen Reisen für Reportagebände. Die »Universum-Bücherei« verlegte nicht nur Kisch-Bücher, nachdem sie in Erstauflage in Kischs Hausverlag Erich Reiss Berlin herausgebracht worden waren, sondern auch neue Titel wie »Wagnisse in aller Welt« mit speziell dafür geschriebenen beziehungsweise bearbeiteten internationalen Reportagen.                                             September 2015


70 Jahre Aufbau-Verlag


»Gestern. Heute. Aufbau. 70 Jahre Aufbau Verlag 1945 – 2015« Unter diesem Titel hat »aufbau« ein Buch von Carsten Wurm veröffentlicht, worin die Geschichte dieses bedeutenden deutschen Verlages beschrieben wird. Sie hat am 16. August 1945 in Berlin mit dem Antrag begonnen, »eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter der Firmenbezeichnung Aufbau-Verlag GmbH« zu gründen. Unter den vier Gründern befand sich Klaus Gysi, später auch Chef des Verlages. Im Laufe der Jahre ist dieses Verlagshaus zu einem brillanten Unterhaltungs- und Bildungsunternehmen der DDR entwickelt worden. Zu den ersten Autoren gehörte Egon Erwin Kisch. Premieren-Titel war 1947 der autobiografische »Marktplatz der Sensationen«, dessen Einband abgebildet ist. Im selben Jahr schrieb Kisch an Cheflektor Max Schröder – einen Freund aus der Berliner Zeit während der Weimarer Republik: »dass Du eine Gesamtausga-
be herausgeben willst, ist allerdings eine Absicht, die mit meinem Alterstraum zusammenfällt.« Der Schriftsteller Bodo Uhse und Kischs Ehefrau Gisl brachten dieses Werk auf den Weg. In schneller Folge wurden ab 1950 nach einheit-
lichem Prinzip Kischs Werke ediert; es erschien in X Bänden. Außerdem wurden diverse Einzelausgaben herausgegeben. Auch die beliebte »Deutsche Volks-
bibliothek«, im Frühjahr 1954 mit Feuchtwanger, Goethe, Heinrich und Thomas Mann sowie Puschkin auf dem Buchmarkt gebracht, zählte Kisch zu den ihren. Autor Carsten Wurm hat eine Verlagsgeschichte geschrieben, die sich wunderbar liest. Er ist auch ein erstklassiger Mann der Welt des Buches, ein außerordentlicher Kenner des Aufbau Verlags. Von 1982 – 1995 war er dessen Archivar, er ist Chefredakteur der von der Pirckheimer Gesellschaft heraus gegebenen Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, »Marginalien«, hat einige Buch-Bücher veröffentlich und betreibt im Prenzlauer Berg in Berlin ein Antiquariat. Das Buch kostet 12 €.                                        August 2015


Nannen und Kisch

Der Verlag Gruner + Jahr hat Mitte Juli in Hamburg mitgeteilt, dass der von Verlag und stern gestiftete Henri-Nannen-Preis für außergewöhnliche journalistische Arbeiten im deutschsprachigen Raum im Jahre 2016 wieder vergeben werden soll. Der Preis ist erstmals im Jahre 2005 für im Jahre 2004 veröffentlichte Arbeiten verliehen worden und war im Jahre 2014 wegen Sparmaßnahmen ausgesetzt worden. Konzeption und Präsentation des Preises werden derzeit überarbeitet, heißt es. Mit dem Henri-Nannen Preis ist der von stern-Gründer Nannen im Jahre 1977 gestiftete und gleichfalls in mehreren Kategorien verliehene Egon-Erwin-Kisch-Preis ersetzt worden. In der Präambel dieses Preises wurde erinnert: »Schreib das auf, Kisch!« Es ist der Titel des Kriegstagebuches von der serbischen Front zu Beginn des 1. Weltkriegs, das im Jahre 1930 im Verlag Erich Reiss, Berlin, erschienen ist (erstmals 1922 als »Soldat im Prager Korps« veröffentlicht). Als Herzstück des Henri-Nannen-Preises, so die Stifter, wurde »in der Königsklasse der Schreiber, der Reportage«, der Egon-Erwin-Kisch-Preis beibehalten.                         Juli 2015


Anfragen


Die Kisch-Verehrerin Edda Gutsche, Journalistin und Schriftstellerin, interessierte bezüglich des Aufenthaltes von Kisch im Frühjahr 1927 in der Pension Weisse Taube bei Bollersdorf am Schermützelsee u. a. die Frage: Hat Kisch dort seinen 42. Geburtstag nur mit Jarmila und Gisl gefeiert oder gab es noch andere Gäste? . Die Antwort: Nein. Nur seine Freundin, Übersetzerin und Mitar-beiterin Jarmila Haasová aus Prag und seine spätere Frau Gisl Lyner aus Wien, zu jener Zeit noch als Sekretärin engagiert, waren dabei. Es handelte sich damals nicht um Urlaub in der Sommerfrische, sondern um einen sehr intensiven Arbeitsaufenthalt, so dass weder Zeit noch Laune zum Feiern existierten. Kisch hatte in der Zeit von März bis Mai 1927 vier Bücher zu schreiben bzw. die Endfassung für den Druck zu erledigen. Es handelte sich um: Zaren, Popen, Bolschewiken – den ersten Sammelband über das Sowjetland für den Erich Reiss Verlag Berlin; Kriminalistisches Reisebuch – eine Schilderung von Verbrechen aller Zeiten und Länder für den Verlag Die Schmiede, Berlin; Wagnisse in aller Welt – der erste Kisch-Titel in der Universum-Bücherei für Alle des linksgerichteten Münzenberg Verlages, worin speziell dafür geschriebene bzw. bearbeitete internationale Reportagen versammelt sind; Max Hoelz: Briefe aus dem Zuchthaus – von Egon Erwin Kisch herausgegeben und mit einem Nachwort versehen für den Erich Reiss Verlag Berlin. Peter Zimmer aus Neumünster mailte: »Egon Erwin Kisch besuchte die 1. Deutsche Staatsrealschule zu Prag in der Nikolanderstr. Welchen Namen hat die Straße denn heute und steht das Schulgebäude noch?«. Ab Ostern 1896 hat Kisch die I. Deutsche Staatsrealschule zu Prag besucht und am 8. Juli 1903 mit der Matura, dem Abitur im Habsburger Kaiserreich, abgeschlossen. Der »siebenjährige Krieg« - so berichtet Kisch in seinem autobiografischen Buch »Marktplatz der Sensationen« - als »Nikolander« war beendet. »Nikolander« nannten sich die Schüler nach dem deutschen Namen der Straße, in der sich die Schule befand: In der Nikolandergasse. Die beträchtliche deutsch-jüdische Bevölkerung jener Zeit in Prag verwendete für alle Straßen, Plätze, Gärten etc einen deutschen Namen. Dank der freundlichen Hilfe meiner Prager Kollegin Monika Horeni, die vor Ort recherchiert hat, kann ich nun die Frage beantworten: Das einstige Schulgebäude befindet sich nach wie vor in der Mikulandska ulice 5. - vor Zeiten mit der roten Katasternummer 134 versehen. Der Zustand ist relativ gut. Das Haus untersteht dem Pädagogischen Nationalmuseum und beherbergt die Pädagogische Nationalbibliothek J. A. Komensky.                      Juni 2015


Der 29. April


Das ist der Tag, an dem Egon Kisch im Jahre 1885 im Haus »Zu den zwei goldenen Bären« in der Prager Altstadt geboren worden ist und die Hebamme, Frau Rosenthal, prophezeite : Er würde ein Herzganeff werden, ein Liebling der Frauen, denn er habe ein Grübchen am Nabel. 130 Jahre ist es her. Anlaß, mich an Veranstaltungen zu erinnern, die zu Kisch-Jahrestagen in Berlin stattgefunden haben. Zum 100. Geburtstag - damals existierte noch die DDR - wurde im Konrad-Wolf-Saal der Akademie der Künste in der Luisenstraße eine Festveranstaltung abgehalten. Der für Literatur zuständige stellvertretende Kulturminister Klaus Höpke würdigte Kischs Leben und Werk, Künstler lasen aus Reportagen. In der Straße Unter den Linden ist ein »Café Kisch« eröffnet worden. Es hatte ein außergewöhnlich schönes Interieur, die Wände waren geschmückt mit Fotos des »Rasenden Reporters«. Vom November 1921 bis zum März 1933 hatte er in Berlin seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Das »Café Kisch« - nach der deutschen Einheit schnöde geschleift - befand sich Ecke Schadowstraße. Dort befand sich in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts für einige Zeit die Redaktion der legendären »Arbeiter-Illustrierten Zeitung«. Sie hat regelmäßig Beiträge aus Kischs Feder veröffentlicht, auch Vorabdrucke aus Reportagebänden. Nicht unerwähnt soll auch diese Tatsache vom 100. im Jahre 1985 bleiben: In beiden deutschen Staaten hat die Post eine Kisch-Sonderbriefmarke herausgegeben. Aus Anlaß des 60. Todestages von Kisch - am 31. März 2008 - ist in der ver.di-Mediengalerie im Gewerkschaftshaus in der Dudenstraße eine großartige Ausstellung gezeigt worden. Der Wiener Kisch-Experte Marcus Patka hat die Bilderschau nebst Texten gestaltet. Erstmals war sie zu Kischs 50. Todestag in Wien zu sehen. Ergänzend wurden in mehreren Schauvitrinen seltene Bücher und Dokumente gezeigt: Handsignierte Erstausgaben; Briefe mit Kischs berühmter kalligrafischer Schrift; ferner der zugleich mit Kischs Totenmaske abgenommene Gipsabdruck seiner rechten Hand samt Füllfederhalter Marke Watermann. Dafür hat Klaus Haupt verantwortlich gezeichnet. Gefördert wurde die Ausstellung von Gruner und Jahr; so wurden auch die Namen der Kisch-Preisträger des stern präsentiert. Andererseits ist in einer der Vitrinen ein Exemplar des – vom Berliner Künstler Gerhard Rommel gestalteten – attraktiven Kisch-Preises vorgestellt worden, den der DDR-Journalistenverband zum 100. Geburtstag im Jahre 1985 für junge Journalisten gestiftet hat - Dies waren vermutlich die allerletzten außergewöhnlichen Ehrungen für den Jahrhundert-Journalisten Egon Erwin Kisch in Berlin. Deshalb diese Erinnerung.
                                                                                        April 2015


Rasend in anderem Sinne


Die in Berlin erscheinende Tageszeitung neues deutschland hat auf der Titelseite der Ausgabe vom 29. April in der Rubrik »Unten Links« einen Beitrag zu Egon Erwin Kisch veröffentlich. Darin heißt es: »Ganz abgesehen davon, dass der große deutschsprachige Journalist aus Prag im größer gewordenen Deutschland nur noch selten Erwähnung findet und offenbar bei der journalistischen Nachwuchsausbildung noch seltener – es jammert schon einen Hund, wie wenig von seinem meisterlichen ›Handwerk‹ in der heutigen Presselandschaft geblieben ist. Mit seinen geistreichen, detailgetreuen, ja im wahrsten Sinne des Wortes investigativen Geschichten ist Kisch zu Recht als rasender Reporter weltbekannt geworden. Als einer, der seinen Lesern nicht nur von seinem Schreibtisch aus die Welt erklärte, sondern immer mittendrin im Leben recherchierte – und das dort Beobachtete zudem auch noch stilsicher zu Papier bringen konnte. Die heutige Mischung aus Politikberatung und Voyeurismus, aus gepflegten Eitelkeiten und noch gepflegteren Vorurteilen hätten den Reporter vermutlich in ganz anderem Sinne rasend gemacht.« Verfaßt hat den Text die stellvertretende Chefredakteurin Gabriele Oertel.                                                                                         April 2015


Elliptical Treadmill in London

Die in London erscheinende britische Sportzeitung »Roleur« hat in ihrer November-Ausgabe Nr. 51 einen Beitrag über die »Elliptische Tretmühle« veröffentlicht - Kischs klassische Reportage über das Sechs-Tage-Rennen in Berlin in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Autor ist der in Tokio lebende britische Journalist Graham Davis. In seinem Beitrag heißt es: »Dieses Sechs-Tage-Rennen war ein besonderes Spektakel im Zentrum der Stadt, das einen besonderen Journalisten verlangte, um darüber zu schreiben. Egon Erwin Kisch war der Mann. Er hat mit unwiderstehlicher Dramatik über ein Ereignis voller unbeschreiblicher Torturen berichtet... Kisch war ein Mann seiner Zeit und seiner Welt. Er repräsentierte das Image des Reporters: Notizblock in der Hand, stets eine Zigarette im Mundwinkel, seine Themen unermüdlich zu Papier bringend, immer aufmerksam umherstreifend, aber ein charmanter und unterhaltsamer Mensch, dem man nachfühlen konnte, dass er eine Menge Spaß am Leben hatte. Für ihn war dieses Radrennen eine Gelegenheit, um das Leben und die Gesellschaft in einer verrückten Welt zu beleuchten.« - Graham Davis gebührt das Verdienst, die »Elliptische Tretmühle« erstmalig ins Englische übersetzt zu haben. Der Aufbau Verlag, so teilte mir der Kollege aus Tokio mit, hat gegen eine Gebühr die Genehmigung zur Publikation erteilt. Der in Ostdeutschland gegründete Aufbau Verlag hat die Rechte an den deutschsprachigen Werken von Kisch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten. Der Verlag hatte seinen Sitz ursprünglich in der Nähe des Gendarmenmarktes in der einstigen DDR-Hauptstadt und residiert seit einigen Jahren in einem neuen Gebäude am Moritzplatz in Berlin. Der englische Text von Graham Davis ist nun für eine geringe Gebühr von weniger als einem Euro bei Amazon verfügbar.                               Dezember 2014


Ein Held in Australien


Special Broadcasting Service (SBS) Radio Melbourne, das nationale öffentlich-rechtliche, multikulturelle Radio von Australien mit Programmen in 74 Spra-
chen, hat den 80. Jahrestag der »Ankunft von Egon Erwin Kisch in Australien« zum Anlaß für eine Sendung genommen. Mein Kollege Christian Frölicher bat mich dazu um ein Interview und kommentierte Kischs einmalige Art, seinen Fuß auf den Fünften Kontinent zu setzen: »Eine absolut verrückte Geschichte, die mit einem Beinbruch (buchstäblich) begann, und in einem Gerichtsfall vor dem High Court ein glückliches Ende fand. In Australien ist er seitdem ein Held.« Das dramatische Ereignis fand am 13. November 1934 statt. Kisch war im Auftrag des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus mit Sitz in Paris auf dem britischen Liner »Strathaird« zu den Antipoden aufgebrochen, um als europäischer Delegierter am Gesamtaustralischen Antikriegskongreß teilzu-
nehmen, der zum 9. und 10. November in die Stadthalle von Melbourne einberufen worden war. Obwohl er ein britisches Visum für das Common-
wealth-Land Australien besaß, wurde ihm die Einreise verweigert. In dem Augenblick, da das Schiff in Port Phillipp, dem Hafen von Melbourne ablegte, schwang sich Kisch über die Reling und sprang aus einer Höhe von fünfeinhalb Metern auf den Kai - und brach sich das rechte Bein zwei Mal. Es folgten dramatische Ereignisse. Kisch hat sie, zusammen mit Reportagen über Alltag und Geschichte der Antipoden, in dem - noch immer lesenswerten - Buch »Landung in Australien« beschrieben.- Die Berliner Tageszeitung neues deutschland hat zum Jahrestag des Sprunges einen Artikel veröffentlicht. Darin heißt es zur Ehre von Kisch: »Der Antikriegskongreß in Melbourne hat zwar ohne ihn stattgefunden, die Antikriegsbewegung aber einen Triumph erfahren.«                                                                                     November 2014


FOLIO zum Thema: »Beruf: Reporter«

Die Neue Zürcher Zeitung hat die Oktoberausgabe 2014 ihres monatlich erscheinenden Magazins FOLIO unter das Motto gestellt: »Beruf: Reporter - Like+Comment+Share«. Das Editorial verfaßten gemeinsam NZZ-Folio Chef-
redakteur Daniel Weber und der Chefredakteur von »Reportagen«, Daniel Puntas Bernet. Ihr Thema: »Einsame Wölfe - Der ›rasende Reporter‹ ist eine Ikone aus dem letzten Jahrhundert. Hat ihn die Zukunft überholt?« Da grüßt dann natürlich auch Egon Erwin Kisch die Leser - »der berühmteste Reporter deutscher Sprache«, wie in der Bildunterschrift konstatiert wird. Man sieht ihn, wie er sich im März 1929 in Chicago, auf der Südseite des Chicago River, an das Natursteingeländer der Brücke lehnt. Kisch bereiste von Ende Oktober 1928 bis Mitte April 1929 die USA für das Reportagebuch: Egon Erwin Kisch erlaubt sich darzubieten: Paradies Amerika. (Das im FOLIO abgebildete Foto
ist auch auf dieser Website als Titel der Rubrik »Biografie / Bibliografie« zu sehen.) Ein zweites Mal wird Kisch im NZZ-Magazin im traditionellen »Binders Vexierbild« gezeigt: »Wo ist Kischs Feder?«, lautet die Suchfrage. Der Mann aus Prag ist hier in Berlin postiert, der Stadt, in der er die längste Zeit außerhalb seiner Heimatstadt gelebt und gewirkt hat: Vor dem Bahnhof Friedrichstraße. Es geht also darum, Kischs Füllfederhalter zu suchen. Es ist ein Füller der Marke Waterman. Kisch hatte ihn sich Anfang 1936 in Paris zu-
gelegt und damit bis zu seinem Lebensende geschrieben.         Oktober 2014


Die elliptische Tretmühle

Dieser Tage bekam ich einen rasanten Dokumentarfilm zu sehen. Titel: »Sechs Tage - Sechs Nächte. 100 Jahre Berliner Sechs-Tage-Rennen«. Der Film - Buch und Regie Heinz Brinkmann - ist im Jubiläumsjahr 2009 im RBB gesendet worden. Natürlich ist dieses Thema nicht zu behandeln ohne Egon Erwin Kisch. Seine Reportage »Die elliptische Tretmühle« ist der Klassiker unter allen Texten über die Matadoren auf den ovalen Holzplanken: »Sechs Tage, sechs Nächte lang streben sie vorwärts, aber sie sind immer auf demselben Fleck...« Auch Brinkmann, der Mann aus Heringsdorf an der Ostseeküste, wo ich ihn kennen gelernt habe, zitiert selbstverständlich Kisch. Sein Film hat mich daran erinnert, dass ich kurz zuvor von einem in Tokio lebenden britischen Jour-
nalisten eine E-Mail erhalten habe, die sich ebenfalls ums Sechstagerennen und Kischs »Elliptische Tretmühle« drehte. Der Kollege schrieb für ein britisches Blatt einen Beitrag über das berühmte Berliner Radrennen und fragte an, ob ich ihm mitteilen könne, wann Kisch für »Die elliptische Tretmühle« recherchiert habe und wo die Reportage erstmals veröffentlicht worden sei. Ich konnte ihm helfen: 1923 war Kisch dabei, zur 10. Auflage des Rennens; und erschienen ist die Reportage erstmals in dem Buch Der rasende Reporter im Verlag von Erich Reiss, Berlin, 1925 - es war jedoch schon Ende 1924 zum Weihnachtsgeschäft im Buchhandel. Ich wiederum habe aus Brinkmanns Film auch Neues erfahren: Nämlich, dass 1923 der legendäre »Sportpalastwalzer« Premiere hatte. Als »Wiener Praterleben« ist er 1892 von Siegfried Translateur komponiert worden. Der Mann in Tokio hatte mir übrigens noch mitgeteilt, dass er Kischs Text erstmals in dem Buch Aus dem Café Größenwahn gelesen habe, dass 2013 im Verlag Klaus Wagenbach erschienen ist. So rollt, wie man sieht, die »Elliptische Tretmühle« rund um die Welt.                               Juni 2014


Schriftsteller in Ostende 1936

»Ostende - 1936, Sommer der Freundschaft« - So lautet der Titel eines Buches, der in dem belgischen Modebadeort, der »Königin der Strandbäder«, wie die Prospekte jener Zeit preisten, angesiedelt ist. In Ostende hatten sich damals zeitweilig Schriftsteller niedergelassen, die aus dem Deutschland der Faschisten flüchten mußten. In Ostende, im Café Flore, haben sie sich in jenem Sommer regelmäßig getroffen, um über die Lage in Deutschland zu reden, über ihr literarisches Schaffen, das Leben in dieser Zeit schlechthin: Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun, Ernst Toller, Hermann Kesten, Arthur Koestler... - und auch Egon Erwin Kisch mit Gefährtin Gisl. Die Beiden waren von ihrem Exilwohnort Versailles ans Meer gekommen und hatten sich für einige Wochen im nahe gelegenen Breedene einquartiert. Kisch brauchte ein Refugium für die Arbeit an der »Landung in Australien«. Vom Leben dieser Literaten, ihren Leiden und Hoffnungen, ihren Kämpfen, mit der Emigration fertig zu werden und von ihren Beziehungen zueinander - davon handelt »Ostende - 1936, Sommer einer Freundschaft«. Man erfährt zum Beispiel, wie Irmgard Keun, die erst kürzlich Deutschland verlassen hatte, für ein Paar Tage zu den Kischs fährt, zwanzig Minuten mit der Straßenbahn von Ostende nach Breedene, und dem berühmten Kollegen die ersten dreißig Seiten eines neuen Buches zeigt. »Und Kisch ist begeistert, ist so begeistert, dass er gleich nach oben in sein Zimmer verschwindet.« Als er nach einer halben Stunde zurück kommt, hat er mehrere Briefe geschrieben. Einen an Walter Landauer, den Lektor beim Emigrantenverlag Allert de Lange in Amsterdam »um ihm zu dieser tollen Autorin zu gratulieren, einen an seinen amerikanischen Verleger, um ihm eine phantastische deutsche Autorin und ihr neues Buch zu empfehlen, einen an Freunde in Paris, um sie zu bitten, Irmgard Keun für einen Vortrag über die gegenwärtige Lage in Deutschland einzuladen.« Autor dieses wunderbaren Ostende-Buches ist Volker Weidemann, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Es ist sehr einfühlsam geschrieben, in einem gediegenen Stil. Verständnisvoll. Ja, mit Seele, möchte man sagen, schildert er Haltungen und Handlungen seiner Protagonisten. Geschrieben ohne jegliche Klugscheißerei aus heutiger Sicht. Für Kisch war dieser Sommer 1936 in Breedene übrigens sehr produktiv. Der Mutter schrieb er am 27. August, kurz vor seiner Rückreise nach Versailles, dass er mit seinem Buch gut voran gekommen sei, obwohl die Arbeit genau ein Jahr länger dauere, »als ich kalkuliert habe, aber ich hoffe, dass es ein sehr gutes Buch wird, mein bestes.« Außerdem habe er sich »sehr erholt, bin schwarz wie ein Neger.« Volker Wiedermanns Buch ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und für 17,99 € zu haben.                                                                                  März 2014


Jahrhundertautoren gegen Krieg

»Es muß einer den Frieden beginnen - Jahrhundertautoren gegen den Krieg« Unter diesem Motto hat der Aufbau Verlag Berlin im Februar eine Kassette mit vier Bänden herausgebracht. Als Blickfang auf der schwarzen Kassette ein roter Punkt mit folgendem Text: »1914-2014 / Die Geschichten des Ersten Weltkrieges«. Bei den Werken handelt es sich vornehmlich um Romane, Erzählungen und Gedichte: Arnold Zweig »Junge Frau von 1914« - Ludwig Renn »Krieg« - Ferner ein Band mit Texten von folgenden fünfzehn Autoren: Bertha von Suttner, Johannes R. Becher, Georg Trakl, Friedrich Wolf, Stefan Zweig, Ernst Glaeser, Edlef Köppen, Rosa Luxemburg, Anna Seghers, Kurt Tucholsky, Hans Fallada, Leonhard Frank, Vicky Baum, Erich Maria Remarque und Lion Feuchtwanger. Der vierte Band gehört dem Jahrhundert-Journalisten aus Prag mit seinem Kriegstagebuch »Schreib das auf, Kisch!« Von den Werken aller anderen Autoren über das erste große Völkermorden und gegen den Krieg unterscheidet sich Kisch dadurch, dass er absolut authentisch ist. In dem Tagebuch berichtet der Korporal im 11. k. u. k. Infanterieregiment von der serbischen Front, von der blutigen und verlustreichen Schlacht an der Drina. Die Aufzeichnungen beginnen mit dem 31. Juli 1914 und enden am 22. März 1915. Sie wurden unter schwierigsten Verhältnissen gemacht. Oft noch im Schützengraben. Unmittelbar nachdem Kugeln und Granaten ihr Unheil angerichtet hatten. Als krachende Granateinschläge und das Pfeifen der Kugeln abgelöst worden waren von den Schmerzensschreien der Verletzten - »niemals aber später denn vierundzwanzig Stunden nach dem Erlebnis.« Es ist ein außergewöhnliches Zeitzeugnis. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen hat dieses eindrucksvolle literarische Antikriegswerk Nele Holdack. Insgesamt 1376 Seiten zum Preis von 49,90 Euro. Der Einzelband ist für 15 € zu haben.                                                                          Februar 2014


Tod an der Drina

Um die Jahrhundert-Erinnerung an das erste große Völkermorden geht es in einer kleinen tschechischen Publikation, die ich erhalten habe. Die »Deciner Heimatblätter« gedachten der siebzig Söhne des Grenzortes Dolni Poustevna (Niedereinsiedel) - unweit des einstigen Grenzüberganges nahe des einst blühenden Kunstblumenortes Sebnitz - die für »Gott, Kaiser und Vaterland« gefallen sind. Unter der Überschrift »Der Fabrikantensohn und Kisch« geht es in einem Beitrag von René Senenko speziell um das Schicksal von Rudolf Rößler, dessen Vater die im Orte befindliche »Erste Nordböhmische Metallwarenfabrik« besessen hatte. Der damals 24jährige Rößler jun. gehörte zu den Ersten, die bereits im Juli 1914 eingezogen worden waren und mit dem, im südböhmischen Pisek stationierten, k.u.k. Infanterieregiment Nr. 11 sofort an die serbische Front kamen. Zu diesem Regiment gehörte auch der Korporal Kisch. Auf dem Wege an die Front freundeten sich die Beiden an. Ihre Freundschaft nahm jedoch bei der blutigen Schlacht an der Drina ein tragisches Ende. Dass die »Deciner Heimatblätter« ein Jahrhundert danach ausführlich daran erinnern konnten - das ist Egon Erwin Kisch zu verdanken. Er hat vom ersten bis zum letzten Tag seines Einsatzes an der serbischen Front Tagebuch geführt. Freitag, den 2. Oktober 1914, notierte er, dass Rößler zwei Tage zuvor mit seiner Kompanie »in die Schwarmlinie beordert« worden war. »Rößler hatte sich von mir verabschiedet, ‚als ob es in den Tod gehe' und mir die Adresse seines Vaters gegeben«. Inzwischen wußte Kisch, dass sein Kamerad einem Bauchschuß erlegen war. Dem Tagebuch vertraute er am 3. Oktober an, dass er »seit gestern unter einer besonderen Depression leide«, weil ihn die Todesnachricht an Rößlers Vater schwer beschäftige, »der Gedanke an die Wirkung, die mein Brief auf die des einzigen Sohnes beraubten Eltern ausüben müsse«. Rudolf Rößler ist - auch das teilte Kisch dem Vater umgehend mit - auf einem speziell angelegten Soldatenfriedhof bei Bosanska Raca beigesetzt worden. Kischs Kriegstagebuch von der serbischen Front ist erstmals im Jahre 1922 unter dem Titel »Soldat im Prager Korps« veröffentlicht worden. In den vom Aufbau-Verlag Berlin herausgegebenen Gesammelten Werken ist es im Band I (1. Auflage 1960) bzw. Band II (5. Auflage 1992) enthalten.                                                                         Januar 2014


Das letzte Buch

Ende des vergangenen Jahres ist mein Freund Klaus gestorben. Wir kannten uns seit Jahrzehnten. Er war ein außergewöhnlich liebenswürdiger, feinsinniger und gebildeter Mensch. Gespräche mit ihm waren stets erfreulich und belebend. Als wir - Maxi und ich - ihn und seine Frau Ingrid kurz vor seinem Tode besuchten, hatten wir für den Freund feiner Literatur einen Band von Egon Erwin Kisch aus der eleganten, in rotes Leinen gebundenen, Salto-Reihe des Wagenbach Verlages mitgebracht: »Aus dem Cafè Größenwahn - Berliner Reportagen«. Wenige Tage nach unserem Treffen erfuhren wir, wie sehr ihn das Buch erfreut habe. Bei manchen Texten habe er so herzlich gelacht, wie es von ihm lange nicht zu hören gewesen sei. Es war das letzte Buch seines Lebens Nun ist die Trauerkarte zur Beerdigung eingetroffen: Prof. Dr. Klaus Heuer 26. Juni 1930 - 26. Dezember 2013. Als Motto für den Abschied hat die Familie folgenden Text gewählt: »Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts phantastischeres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt.« Diese Erkenntnis stammt aus der Feder von Egon Erwin Kisch, aus dem Vorwort des Ende 1924 in Berlin erschienenen Buches, dessen Titel zu seinen berühmten Beinamen wurde: »Der rasende Reporter«.
                                                                                       Januar 2014


Drei Briefe im November

An einem Tag im November habe ich drei Briefe erhalten. Alle drei größer und dicker als ein 58 Cent Brief. Und alle drei haben mir Neuigkeiten über Kisch gebracht. Der Verleger und Antiquar Frank Albrecht aus der Mozartstraße in Schrießheim hat mir ein gewünschtes Exemplar des Magazins »Das TageBuch« geschickt. In einem als Schmuckrand gestalteten Teil des Impressums erfährt der Leser bereits auf dem Titel: »Jahrgang 7 Heft 22 + Herausgeber Stefan Grossmann und Leopold Schwarzschild + Erscheint Sonnabends«. Ferner wird auf dem Deckblatt mitgeteilt, dass der Einzelverkaufspreis 60 Pfennig beträgt und das Heft in Berlin am 29. Mai 1926 erschienen ist. Den Rest nimmt die Inhaltsangabe in Anspruch. Die Versammlung einzigartiger Autoren, - die in dem schmalen Heft - Seite 737 bis 770 - geboten wird, ist faszinierend: Artur Schnitzler, Stefan Großmann, Hans Sahl, Alfred Polgar, Franz Hessel. Und natürlich Egon Erwin Kisch. Er ist mit dem Beitrag vertreten »Warschau am Tage nach dem Staatsstreich«. Mit dem ersten Zug war er in Warschau eingetroffen, »seit fünf Tagen der erste, der aus Rußland nach Polen fährt, wo seit fünf Tagen Revolution ist. Revolution?« Das Fragezeichen hatte seinen Grund! Es war nämlich ein Putsch. Der Putschist, der in fünf Tagen die Regierungstruppen niederkartätscht hatte, hieß Jozef Pilsudski (1867-1935). Er ergriff die Macht, regierte als Diktator mit Mitteln, die Zeitgenossen wie Historiker als faschistisch bezeichneten. Der Zufall wollte es, dass nun just am 11. November, da man hierzulande Martinsgänse verspeist, die Polen ihren Nationalfeiertag begangen haben. Berichte über Vorgänge zu diesem Anlaß liefern ein beunruhigendes Bild über den politischen polnischen Alltag: Unverschämte Reden des Parteichefs Jaroslaw Kaczynski und seiner aufrührerischen Anhänger. Nach dem militärischen Zeremoniell auf dem Warschauer Pilsudskiplatz gab es einen Marsch vorbei an Denkmälern »verdienstvoller Polen«, wo Kränze niedergelegt wurden - auch am Pilsudski-Denkmal. Kischs Bericht über den Mai-Putsch von 1926 liefert interessante Beobachtungen und läßt ahnen, dass Ursachen für heutige politische Probleme in Polen auch weit zurück liegen könnten. Zu finden ist der »TageBuch«-Beitrag im Band III der vom Aufbau Verlag heraus gegebenen Gesammelten Werke. - Der zweite Brief enthielt die DVD »Marktplatz der Sensationen« mit einer an Originalschauplätzen in Prag gedrehten Serie von Kurzfilmen »rund um Egon Erwin Kisch« - eine »wahre Huldigung an diesen Meister der Sensationsgeschichten«, wie es heißt. Die fürs Fernsehen gedrehten Filme - die nun wieder für 14,99 Euro auf dem Markt sind - wurden bereits 1985 im Auftrage des SWF (heute SWR) produziert. Als Rasender Reporter agiert Josef Laufer. In weiteren Rollen: Suzanne von Borsody, Rosemarie Fendel und Wolfried Lier. Drehbuch Kamil Pixa und Jaroslav Vokrál, Regie Martin Hollý. Kischs autobiografisches Buch »Marktplatz der Sensationen« wird allerdings als »Roman« verkauft. Da hätte sich Kisch wohl sehr gewundert, wenn er zu Lebzeiten von dieser Einordnung gehört hätte. - Der dritte Brief kam von meinem Freund Dr. Edmund Schulz aus Leipzig, dem exzellentesten Kenner in Sachen des einstmals in Deutschland viel gelesenen amerikanischen Schriftstellers Upton Sinclair - bekanntlich ein guter Freund von Kisch.
Schulz hat seine Bibliothek gelichtet und mir ein Buch vermacht: »Die Rache der Kabunauri« von der polnischen Schriftstellerin Helena Bobinska; erschienen 1931 in der Universum Bücherei für Alle, Berlin W 8. Der Grund für die Schenkung: Das Buch hat ein Nachwort »Was Egon Erwin Kisch zu der Geschichte sagt«. Als ich es gelesen hatte, klingelte die Erinnerung. Und tatsächlich: Der Text befindet sich im Band IX der Gesammelten Werke. Wie mit manchen Beiträgen, die in den beiden Bänden »Mein Leben für die Zeitung« enthalten sind, konnte ich damit jedoch nichts rechtes anfangen. Es gibt keine Quelle. Nun weiß ich Bescheid: Es handelt sich um eines der vielen Vor- und Nachworte aus Kischs Feder. In diesem Fall zu einem Roman, der die Geschichte eines kleinen Jungen aus dem Volke der Chewsuren im Kaukasus erzählt und in den ersten Jahren nach der Revolution mit den tiefgreifenden Umwälzungen spielt. - Neuigkeiten für mich. Und vielleicht auch für andere Kisch-Freunde.                                                              November 2013


Berlin-Kolleg erinnert an Emigranten

Das Berlin-Kolleg in der Turmstraße im Stadtteil Moabit präsentiert vom 7. November bis 5. Dezember im Rahmen des vom Land Berlin initiierten Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« eine literarische Ausstellung mit dem Titel »Grenzüberschreitungen - Künstlerische Emigration aus Deutschland 1933 - 1945«. Persönlichkeiten verschiedener Berufe - Schriftsteller, Journalisten, Architekten Musiker, bildende Künstler, Filmleute, aber auch Fluchthelfer -,
die mit ihren Werken das Leben in Deutschland eindrucksvoll bereichert haben, werden in gut bebilderten Kurzbiographien vorgestellt. In dieser Galerie der vertriebenen Prominenten haben sich Sabrina Mertens und Joe Potter dem Jahrhundertjournalisten Egon Erwin Kisch gewidmet. In ihrem Text würdigen sie unter anderem Kischs unermüdlichen antifaschistischen Kampf, den er auch in der Emigration entschieden fortgesetzt hat. »Über alle Ländergrenzen hinweg schreibt der rasende Reporter gegen die Ungerechtigkeit an und macht sich damit zum Feind der diktatorischen Regimes Europas - Gefahren für die eigene Sicherheit dabei außer Acht lassend«, heißt es. Um das Kisch-Bild für den Betrachter der Ausstellung lebensnah zu gestalten, sind Stimmen von Zeitgenossen zitiert. Unter anderem Anna Seghers (1900 - 1983), in deren Nachruf auf ihren langjährigen Freund Egonek es heißt: »Es ist uns zumute,
als hättest Du nur einen von Deinen vielen Tricks angewendet, um Dich irgendwo über eine verbotene Grenze zu schleichen, um später eine umso seltsamere, umso wildere Reportage zu verfassen über das, was Du gesehen hast.« Bei dieser Ausstellung handelt es sich um Arbeiten »der Kollegiaten und Kollegiatinnen der drei Leistungskurse Deutsch des Abschlußjahrgangs 2014« des Berlin-Kollegs, einer 1960 gegründeten Einrichtung des zweiten Bildungsweges, an dem Erwachsene ihr Abitur absolvieren.     November 2013


Das Café Brasilero in Montevideo

Im Café Brasilero in Montevideo, der Hauptstadt von Uruquay, hat Hinnerk Berlekamp ein Interview mit Eduardo Galeano gemacht, das die »Berliner Zeitung« in der Wochenendausgabe vom 24./25. August veröffentlichte. Der in Montevideo geborene Schriftsteller begründet einleitend die Wahl des aus dem Jahre 1877 stammenden Cafés als Interviewort: »Von all den alten Kaffeehäusern Montevideos ist das Café Brasilero das letzte, das überlebt hat. Diese Kaffeehäuser waren meine Universität. Ich bin sechs Jahre in die Grundschule gegangen, ein Jahr zur Oberschule – das war's. Den Rest lernte ich an den Kaffeehaustischen, indem ich die Ohren aufsperrte und den großen anonymen Erzählern lauschte...« Der Interviewer knüpft den Faden weiter: »Das Kaffeehaus als Ort der Literatur hat eine lange Tradition. Von Egon Erwin Kisch heißt es, er habe die Pointen seiner Reportagen stets vorab in den Prager Cafés im Freundeskreis zum Besten gegeben, in drei oder vier Varianten, und diejenige, die den meisten Erfolg bei seinen Zuhörern hatte, wurde dann gedruckt.« Darauf Eduardo Galeano: »Ich kenne diese Situation: Manchmal hat man drei oder vier Versionen, und man muß alle bis auf eine opfern. Wenn das allzu schwer wird, biete ich manchmal auch zwei nacheinander an, aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Der Leser soll doch spüren, dass es verschiedene Positionen gibt, von denen aus man die Dinge betrachten kann. Dass es nie eine einzige Wahrheit gibt. Dass die eine Wahrheit immer aus vielen Wahrheiten besteht – und zugleich aus vielen Lügen.«                                                                          August 2013


Im Maschinenraum der »Vaterland«

Vom Rhein ist ein Schiffsbericht eingetroffen: »Egon Erwin Kisch auf der »Vaterland‘« .lautet der Titel des Buches. Im Mai/Juni 1914 hat Kisch als geladener Pressevertreter an der Jungfernfahrt des Hapag-Luxusdampers »Vaterland« teilgenommen. Mit diesem größten Schiff der Welt jener Zeit wurde der Linienverkehr zwischen Hamburg/Cuxhaven und New Nork eröffnet. Am 14. Mai 1914 ist Kisch an Bord gegangen, tags darauf mußten die Pressevertreter in Southhampton, der ersten Zwischenstation, das Schiff wieder verlassen. Auf der Rückfahrt hat die »Vaterland« am 1. Juni in Plymouth halt gemacht und Kisch – der sich inzwischen zu Recherchen in London aufgehalten hatte – konnte wieder an Bord gehen. Am nächsten Tag ist die »Vaterland« dann im Heimathafen Hamburg/Cuxhaven vor Anker gegangen. Für seine Reportage hat sich Kisch nicht zu den Reisenden der Oberklasse begeben, sondern er ist hinab gestiegen in die Maschinen- und Kesselanlage des 54.282 Bruttoregistertonnen-Schiffes zu den Heizern und Trimmern. Am 12. Juni 1914 ist die Reportage in der Prager Tageszeitung »Bohemia« erschienen unter der Überschrift »Bei den Heizern des Riesendampfers«. 1924 hat Kisch sie dann in den Reportageband »Der rasende Reporter« aufgenommen – die Pointe allerdings überarbeitet hinsichtlich der Stimmung unter den Heizern in der »Teufelsküche«. Ulrike Robek vom Niederrhein hat ihrem Buch den Untertitel gegeben: »Ein Versuch zum Verständnis der Heizer-Reportage«. Sie hat in ihrer streng wissenschaftlichen Arbeit Kischs stimmungsvollen Text analysiert und mit den ihr heute zugänglichen technischen Angaben der »Vaterland« bis ins kleinste Detail auf Exaktheit verglichen, mit technischen Karten und Fotos sowie Informationen über Arbeitskämpfe und die Kraft der Gewerkschaften jener Zeit versehen. Eingehend widmet sie sich der unterschiedlichen sozialen und politischen Lage unter den Arbeitern zur Zeit der beiden Veröffentlichungstermine, weil die entsprechenden Tatsachen ausschlaggebend waren für die unterschiedlichen Schlußpassagen der beiden Fassungen. Beim ATHENA-Verlag, Oberhausen, ist Ulrike Robeks erstklassig recherchiertes Werk für 19,50 Euro zu haben.
                                                                                     August 2013


Kisch im Ruhrgebiet

Im Sommerloch sind zwei Bücher aus Essen eingetroffen. Die Titel: »Egon Erwin Kisch beim Bochumer Verein – Ein Versuch zum ‚Wesen des Reporters‘« sowie »Egon Erwin Kisch in Essen – Eine ‚Fotografie‘ der Kruppwerke und des RWE«. Autorin dieser wissenschaftlichen Arbeiten ist Ulrike Robeck, promoviert an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Gegenstand ihrer Arbeit sind Kischs Reportagen »Stahlwerk Bochum, vom Hochofen aus gesehen« sowie im zweiten Buch »Das Nest der Kanonenkönige: Essen« und »Generalversammlung der Schwerindustrie«. Kisch weilte im Herbst 1920 und Ende des Jahres 1922 im Ruhrgebiet und aus dieser Zeit stammen die Texte. Sie befinden sich in dem Ende 1924 veröffentlichten Buch »Der rasende Reporter«, mit dem Kisch berühmt geworden ist und sich auf dem deutschen Büchermarkt durchgesetzt hat. Nun sind sie, rund neunzig Jahre danach und gewissermaßen am Ort des Geschehens, erneut veröffentlicht worden. Ulrike Robek stellt zunächst einen Vergleich »des Reporters mit einem Fotografen« an. Kischs Reportage über das »Stahlwerk Bochum« ist mit 25 weitgehend zeitgenössischen Fotos illustriert. Anschließend beschäftigt sich die Autorin, bescheiden als »Nachwort« deklariert, ausführlich mit der »Übereinstimmung von Reportage und Werksfotografie?« In diesem Zusammenhang analysiert sie Kischs Text vom »Wesen des Reporters« aus dem Jahre 1918, der Theorie von der »Bussole«, wobei auch Kischs »logische Phantasie« unerläßlich ist, sie betrachtet, wie Kisch Tatsachen und Sachlage gesehen und verarbeitet hat. Im zweiten Buch werden die Reportagen über das »Nest der Kanonenkönige« und die »Generalversammlung« bis ins kleinste Detail seziert: Was hat Kisch während seines kurzen Aufenthaltes gesehen, was hat er offenbar übersehen, worin bestehen die Stärken dieses Textes über den modernen Kapitalismus, wo hat Kisch geirrt. Es handelt sich in beiden Büchern um außerordentlich gründliche Arbeiten, zumindest für jeden jungen Journalisten, der etwas auf sich und seine Feder hält, unerläßlich. Beim Klartext Verlag in Essen sind die beiden Titel zum Preis von je 19,95 Euro zu haben. Verlegt wurden sie bereits 2010 bzw. 2011.                 August 2013


Büchermarkt

In der Sendung »Büchermarkt« hat der Deutschlandfunk am 31. Juli das Buch »Aus dem Café Größenwahn – Berliner Reportagen « aus dem Wagenbach-
verlag vorgestellt. Es enthält Texte, die Egon Erwin Kisch in den Jahren 1914 bis 1933 geschrieben hat: »Berlin in den Zwanzigern: Ein wildes Durchein-
ander, in dem nicht nur der politische Lärm wächst. Erst dank des ‚rasenden Reporters‘ mit dem gespitzten Ohr und dem noch spitzeren Bleistift erklingt die Sinfonie der Großstadt.« Das Buch ist im März des Jahres erschienen. Am 31. März jährte sich Kischs Todestag zum 65. Mal.                            Juli 2013


Kisch über Spionage der Amis

Unter der Überschrift »Schon Kisch wußte: Die Amis spionieren« veröffent-
lichte neues deutschland am 17. Juli folgenden Beitrag: »Die Kanzlerin hat erklärt, sie habe von der US-amerikanischen Spionage in Deutschland erst durch die Snowden-Enthüllungen erfahren. Da möchte man ihr doch mit Hilfe einer weit verbreiteten Publikationen etwas nachhelfen. Bild hat jüngst in Zusammenarbeit mit der Aktion ›Vorsicht Buch!‹ den 80. Jahrestag der Bücherverbrennung zum Anlaß genommen, eine ‚Bibliothek der verbotenen Bücher‘ mit einer ‚Auswahl der größten Literaturklassiker‘ herauszugeben. Unter den zehn Autoren befindet sich Egon Erwin Kisch (1885-1948) mit seinem ‚Paradies Amerika‘. In den 41 Reportagen, Erlebnisberichten, Inter-
views und anderen Texten hat der Journalist sich auch der ›Kriminalistik in Washington‹ gewidmet. Darin befaßt er sich mit dem ›Big Game‹, der Überwachung und Bespitzelung: ‘Das Ministerium des Äußeren ist einer von den Bankhaltern des Großen Spiels und opfert dafür jährlich den Betrag von hunderttausend Dollar, die es niemandem verrechnet. Aber wir wollen hoffen, dass dieser Fond in wichtigen Fällen erhöht und überschritten wird, denn sein Zweck ist wichtig.‘ Und dann zitiert der ‚rasende Reporter‘ ein Dokument, das ihm damals in Washington offiziell zur Verfügung gestellt worden ist: ›The contingent fund is used for the purpose of enabling the Department of State to keep a close watch on affairs in other nations, in order that the United States may at all times be apprised of any foreign develeopments which might affect its interests.‹ Das bedeutet in aller Offenheit: Das Außenministerium unterhält einen Sonderfond mit dem Zweck, alle Staaten auszuspionieren, damit die USA zu jeder Zeit über jegliche ausländische Entwicklung informiert sind, die ihre Interessen berühren könnten. Kischs Kommentar dazu: ›Da von den Einnahmen der Vereinigten Staaten mehr als ein Drittel in Armee und Flotte investiert werden, kann man sich ausmalen, was hier für Spionage – Verzeihung, für Evidenzhaltung von Nachrichten ausgegeben wird.‹ Das war vor mehr als achtzig Jahren. Das Buch ‚Egon Erwin Kisch erlaubt sich darzubieten: Paradies Amerika‘ ist im Jahre 1930 im Verlag Erich Reiss, Berlin, erschienen. Mindestens seitdem ist also öffentlich bekannt, dass es zur Staatsdoktrin der USA gehört, überall in der Welt zu spionieren. Und davon
will Frau Merkel nichts gewußt haben.«                                      Juli 2013


Kisch am Lustgarten

Am Berliner Lustgarten wird im Rahmen der Aktion »Berliner Themenjahr 2013 OPEN AIR« an Menschen erinnert, die »nach dem Machtantritt der National-
sozialisten 1933, spätestens aber nach den Novemberpogromen des Jahres 1938 verdrängt und vertrieben, etliche deportiert und ermordet« worden sind. Unter den mehr als zweihundert Porträts und Biografien von Wissenschaftlern, Künstlern aller Genres, Politikern, Schriftstellern, Journalisten sowie Persönlichkeiten anderer Berufe, die auf Litfaßsäulen ähnlichen Aufstellern vorgestellt werden, befindet sich auch Kisch. Auf dem dazugehörigen Text wird mitgeteilt, dass der jüdische Kommunist wegen seiner tschechoslowa-
kischen Staatsangehörigkeit unmittelbar nach dem Reichstagsbrand »abge-
schoben« worden sei. Dazu muß folgendes ergänzt werden: Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand, nämlich am 28. Februar 1933, früh um fünf Uhr, wurde dem »rasenden Reporter« in seinem Untermieter-Quartier in der Motzstraße am Prager Platz von zwei Kriminalbeamten mit gezogenen Pistolen verkündet: »Herr Kisch, wir haben Befehl, sie ins Polizeipräsidium abzuführen.« In dem mit dem Datum vom 28. Februar versehenen Haftbefehl heißt es, wegen »dringen-
den Verdachtes der Teilnahme am Hochverrat«. In der Nacht vom 1. zum 2. März wurde Kisch dann in die Festung Spandau transportiert. Erst aufgrund energischer Proteste aus Prag wurde er - körperlich unversehrt, im Gegensatz zu vielen seiner gefolterten und halbtot geschlagenen Mithäftlinge - am 11. März unter Bewachung am Grenzort Pomokly gegen Quittung den tschecho-
slowakischen Grenzbehörden übergeben. Kischs Bericht »In den Kasematten von Spandau«, der bald nach seiner Ankunft in Prag veröffentlicht worden ist, vermittelt einen Eindruck von den Verbrechen der Nazis nach dem Reichstags-
brand. Als einer der ersten Augenzeugenberichte erregte er internationale Aufmerksamkeit.                                                                   Juni 2013


Verbotene Bücher

Zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung hat Bild in Zusammenarbeit mit der Kampagne der deutschen Buchbranche »Vorsicht Buch!« eine zehnbändige Sonderedition mit Meisterwerken deutschsprachiger Autoren, deren Bücher am 10. Mai 1933 verbrannt worden sind, herausgegeben: Brecht, Feuchtwanger, Kästner, Heinrich Mann, Meyrink, Remarque, Joseph Roth, Tucholsky, Stefan Zweig - und Kisch mit dem Titel »Egon Erwin Kisch beehrt sich darzubieten: Paradies Amerika«. Das Buch hat einen schwarzen Einband sowie gleichfarbigen Schutzumschlag, der dominiert wird von dem rot gedruckten Wort »Verboten!« Der vordere und hintere Vorsatz zeigen ein Foto von der Brandnacht, versehen mit dem Text: »'Wider den undeutschen Geist' - Unter diesem Motto verbrannten die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 in ganz Deutschland - wie hier auf dem Opernplatz in Berlin - auf großen Scheiterhaufen unzählige Bücher verfemter Autoren von Brecht bis Einstein.« Bei der Zusammenstellung der Sonderedition habe man sich für Kisch entschieden, so heißt es, »weil er Jude war, Kommunist und Kriegsgegner, weil er der beste, frechste, skandalöseste und investigativste Journalist seiner Zeit war.« Der Einzelband ist für 9,99 Euro zu haben. Die Kassette mit allen zehn Bänden kostet 75,00 Euro. Kischs Amerika-Buch ist zuerst im Erich Reiss Verlag, Berlin, erschienen, versehen mit dem Erscheinungsjahr 1930. Es war jedoch bereits Ende 1929 auf dem Buchmarkt. Kisch war am 31. Oktober 1928 von Bord des britischen Dampfers »Olympic« in New York an Land gegangen. Am 13. April 1929 hat er auf der »Homeric« die Rückreise nach Europa angetreten. Unverzüglich suchte er ein Refugium, um in Ruhe möglichst schnell sein Buch schreiben zu können: 41 Reportagen, Skizzen, Porträts, Gespräche - deren Aktualität und Brillanz sich bis auf den heutigen Tag gehalten haben. Seiner Freundin Jarmila Haasová, die alle seine Bücher aus dem Deutschen ins Tschechische übersetzt hat, schrieb Kisch am 24. Mai 1929 nach Prag: »...direkt aus New York kommend, habe ich mich in den hintersten Winkel verkrochen, in die Teufelsmühle bei Kynsperk an der Ohre! Ich wollte nach Böhmen, damit meine Mutter mich besuchen kann, ohne den schrecklichen Rummel zu erleben, der in Berlin um mich gemacht wurde.« Das im Wald gelegene Ausflugsrestaurant »Teufelsmühle« unweit des Kurortes Frantiskovy Lázne und des Flusses Ohre (Eger) existiert noch immer.              Juni 2013


Im Jüdischen Museum

Beim erneuten Besuch im Jüdischen Museum in Berlin bin ich daran erinnert worden, dass dort ein besonders schönes, originelles Porträt-Foto von Kisch zu sehen ist. Es zeigt den »rasenden Reporter« als »rauchenden Reporter«: In der einen Hand die Zigarette, in der anderen den Telefonhörer. Die Aufnahme stammt von Lotte Jacobi (1896-1990). Sie war eine der berühmtesten Fotografinnen ihrer Zeit, als »Porträtistin des vergangenen Jahrhunderts« gewürdigt. Theater und Kunst waren ihr Metier. Besonders geschätzt aber wurde sie wegen ihrer außergewöhnlichen Porträts von Prominenten. Lotte Jacobi gehört zu den Persönlichkeiten, die im Rahmen der Aktion »Berliner Themenjahr 2913 OPEN AIR« am Lustgarten präsentiert werden.     Juni 2013


Berliner Reportagen

»Aus dem Café Größenwahn - Berliner Reportagen« – Unter diesem Titel hat der Verlag Klaus Wagenbach Berlin im März ein Buch von Egon Erwin Kisch herausgebracht. Es enthält 24 Beiträge unterschiedlicher journalistischer Genres, geschrieben zwischen 1914 und 1933. Im Sommer 1913 war Kisch erstmalig mit dem Ziel nach Berlin gekommen, um sich hier eine berufliche Existenz aufzubauen. Das wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zunichte gemacht. Kisch mußte als Korporal der k. u. k. österreichisch-ungarischen Armee an die serbische Front. Das zweite Mal kam er im November 1921 aus Prag nach Berlin. Und wieder endete sein Aufenthalt zwangsweise. Nachdem der Kommunist Kisch von den Nazis am Morgen des 28. Februar 1933, nach dem Reichstagsbrand, verhaftet worden war, mußte man ihn jedoch aufgrund offizieller Proteste aus Prag am 11. März freilassen. Kisch war tschechoslowakischer Staatsbürger und wurde unter Polizeibewachung an die Grenze seines Heimatlandes abgeschoben. Das Buch ist in der Reihe Wagenbach SALTO erschienen, hat 140 Seiten und kostet 15,90 Euro.                                                                         März 2013


Kisch im Deutschlandradio Kultur

Deutschland Radio Kultur hat den Monat März – am 31. des Monats jährt sich Kischs Todestag zum 65. Mal – zum Anlaß genommen, dem rasenden Reporter längere Sendezeiten zu widmen. Am Sonntagvormittag, dem 10. März, wurde ein brillanter einstündiger Beitrag über Leben und Werk des Mannes aus Prag ausgestrahlt. Es handelte sich um die Wiederholung einer Sendung des Journalisten und Schriftstellers Richard Christ zum 100. Geburtstag von Kisch am 29. April 1985 für den Rundfunk der DDR. Und am 20. März wurde das Feature »Don Kischote oder...« aus dem Jahre 1998, gesendet zum 60. Todestag von Kisch, wiederholt. Es handelte sich dabei um eine Gemeinschaftsproduktion mehrerer Sender, unter anderem des ORF. In diesem Beitrag kamen die Grand Dame der Prager deutschen Literatur Lenka Reinerová (1916-2008) und der gebürtige Österreicher Max Bair (1917-2000) zu Wort. Lenka Reinerová hatte Kisch 1937 in Prag in der Redaktion der Arbeiter-Illustrierte Zeitung (AIZ) kennen gelernt, war wie er in der Emigration in Frankreich und Mexiko. Max Bair aus Tirol ist der Held in Kischs Spanienrepor-
tage »Die drei Kühe«. Kisch hatte die Absicht, den Tiroler Bauernjungen zu adoptieren. Das ist jedoch an Gesetzen gescheitert.                   März 2013


Erstlingswerke deutscher Autoren

Im Leipziger Verlag Faber & Faber ist ein einzigartiges literarisches Lexikon erschienen: »Bühne auf! Die Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts. Ein bebildertes Lexikon.« Herausgeber sind Elmar Faber und Carsten Wurm. Vorgestellt wird in dem Werk auch der Erstling des Jahrhundert-Journalisten Egon Erwin Kisch »Vom Blütenzweig der Jugend«. Dieses Büchlein enthält Gedichte, die Kisch zwischen dem 15. Und 18. Lebensjahr verfaßt hat – und wovon er sich im fortgeschrittenen Alter distanzierte. Der Gedichtband war 1905 im Verlag von E. Pierson in Dresden erschienen, einem Druckkosten Verlag. Kischs Mutter hatte den Druck mit 200 Mark finanziert. Um den Wert der Dichtkunst ihres Lieblingssohnes »Egonek« zu erhöhen, erhöhte sie im Bekanntenkreis den Druckpreis auf 300 Mark. Kisch seinerseits gestand später, dass er gegenüber seinen Freunden mit einem Honorar in Höhe von 300 Mark geprahlt habe. »Bühne auf!« hat 526 Seiten und kostet 148 Euro.                                                        Februar 2013


Neues Romanisches Café

Im Fünf-Sterne Luxus Hotel Waldorf Astoria am Zoofenster in Berlin – Hardenbergstraße Ecke Kantstraße, mit Blick auf die Gedächtniskirche – ist zu Beginn des Jahres 2013 ein neues Romanisches Café eröffnet worden. An das historische Romanische Café erinnert eine Deckenmalerei, Figuren im Kleide der 20er/30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts darstellend. Das ursprüngliche Café befand sich bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg auf der anderen Seite der Gedächtniskirche, Budapester-/Ecke Tauentzienstraße. Es war bis zur faschistischen Machtübernahme Treffpunkt von Intellektuellen und Künstlern aller Genres. Auch Egon Erwin hatte seinen Stammtisch. Wenn er dort war »blitzte es nur so von Witzen, Knüttelversen und Ideen«, berichtete seine Übersetzerin und Freundin Jarmila Haasová-Necacová aus Prag. Und wenn er notgedrungen einmal müßig sitzen mußte, »dann zeichnete er. Er zeichnete auf Zigaretten- und Streichholzschachteln, er zeichnete auf Zeitungen, Zeitschriften, auf jedes leere Stück Papier. Die Kellner nahmen es nicht übel, im Gegenteil. Sie machten mit diesen Skizzen gute Geschäfte.«
Auf der Speisekarte des neuen Romanischen Cafés steht natürlich auch der berühmte Waldorf Salat mit Sellerie »aus den Gärten Nizzas«.     Januar 2013


Oberst Redl ist wieder da

Die Wiener Historiker Verena Moritz und Hans Leidinger (beide Jahrgang 1969) haben eine spannende Spurensuche im, Spionagefall des österreichischen Generastabschefs Oberst Redl unternommen und bislang unbekanntes Archivmaterial ans Tageslicht geholt. »Oberst Redl – Der Spionagefall – Der Skandal – Die Fakten« lautet der Titel ihres Buches, das im Residenz Verlag erschienen ist. Es hat 332 Seiten und kostet 24,90 Euro. Kisch ist es gewesen, der im Mai 1911 den offiziellen Nebelschleier um diesen Skandal zerrissen hat: Mit einer als Dementi formulierten Meldung, die am 25. Mai in der Abendausgabe der Prager Tageszeitung
Bohemia veröffentlicht worden ist. Den kompletten Fall hat er dann ausführlich geschildert in der Buch-Serie »Außenseiter der Gesellschaft – Die Verbrechen der Gegenwart«, herausgegeben vom Berliner Verlag die Schmiede im Jahre 1924.                                                                          Dezember 2012


»Die drei Kühe« aus Tirol

»Die drei Kühe«, Kischs Reportage aus dem Freiheitskampf der spanischen Republik gegen den Faschismus, ist in Südtirol in der Edition Raetia GmbH, Bozen, in einer Neuauflage erschienen. Die »Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien« ist von dem Südtiroler Joachim Gatterer herausgegeben und mit großer Sorgfalt kommentiert worden. Gatterer widmet sich dabei u. a. folgender Aspekte: Kischs Werdegang zum rasenden Reporter; dem Lebensweg von Kischs Protagonisten Max Bair aus Tirol, der seine drei Kühe verkauft hat, damit er vom Erlös für sich und seine Kameraden die Bahnfahrt nach Paris finanzieren konnte, um von dort zu den Internationalen Brigaden nach Spanien zu kommen; Lebenswege der Mitstreiter von Max Bair. Das auffallend schön gestaltete Büchlein enthält ferner zeitgenössische österreichische Dokumente, Fotos und die Illustrationen von Amado Oliver Mauprivec aus Barcelona, getreu der Erstauflage, die im Frühjahr 1938 im Amalien-Verlag der Internationalen Brigaden in Madrid heraus gegeben worden ist. Das Buch hat 176 Seiten, kostet in Italien 13,50, im übrigen Verbreitungs-
gebiet 12,50 Euro.                                                        November 2012


Verstoßene, verbrannte, ertrunkene Bücher

Die von der Pirkheimer Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophile MARGINALIEN veröffentlichte im 207. Heft (3. 2012) einen Beitrag unter der Überschrift »Kischs verstoßene, verbrannte und ertrunkene Bücher«. Dabei geht es zunächst um Kischs Erstling »Vom Blütenzweig der Jugend«, eine Sammlung von Gedichten, die Jung-Egonek zwischen dem fünfzehnten und achtzehnten Lebensjahr verfaßt hat. Der kleine Band ist 1905 in E. Pierson’s Verlag (Richard Lincke, k. u. k. Hofbuchhändler) in Dresden erschienen. Mutter Kisch mußte dafür einen Druckkostenzuschuß von 200,- Reichsmark zahlen. Zweitens wird die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin behandelt. Kischs Name stand auf der ersten Nazi-Liste von zwölf »Asphaltliteratur-Autoren«, deren Werke öffentlich verbrannt worden sind. Drittens geht es um Kischs einzigartige Bibliothek vornehmlich kriminalistischer und historischer Werke – 40 Kisten mit 4000 Bänden – , die er 1933 aus Berlin nach Prag rettete. Dort ist sie in einem Lager direkt an der Moldau bei einem Hochwasser völlig vernichtet worden.      September 2012


Der einzige Roman

Die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat am 5. August in der Rubrik »Fragen Sie Reich-Ranicky« eine Leserfrage zu Kisch veröffentlicht. Die Antwort lautet: »Egon Erwin Kisch hat mit seinen Büchern, zumal mit seinen Reportagen, sehr viele Leser gefunden. Zwei oder drei Romane hat er geschrieben, allem Anschein nach ziemlich rasch, jedenfalls waren es keine wichtigen Bücher. Der eigentliche Gewinn von Kisch sind doch seine Reportagen. Glänzend geschrieben ist sein Buch ‚Landung in Australien'. Als sehr erfolgreich gilt, zu Recht, das Buch ‚Paradies Amerika'. Auch der Titel ‚Marktplatz der Sensationen' fand viel Beachtung. Es fällt auf, dass die Bücher von Kisch damals in der Bundesrepublik selten gelesen wurden, wohl aber häufig in der DDR.« - In einem Punkt allerdings irrt der Kritiker. »Der Mädchenhirt«, diese Geschichte eines Zuhälters auf der Prager Moldauinsel Kampa, ist der absolut einzige Roman, den Kisch geschrieben hat. Dann hat er sich vom Roman wieder verabschiedet und ist auf der Spur der Tatsachen geblieben. Und das, obwohl »Der Mädchenhirt« gute Kritiken bekommen hat. Die in Leipzig erscheinende Zeitschrift Das literarische Echo beispielsweise veröffentlichte im Juni 1914 eine Rezension von Paul Leppin über das Buch. »Dies ist (seit langem wieder eins) mit einer reizvollen Illusionskraft ausgestattet, die uns weitab von der Welt des bedruckten Papiers die Geschichte des jungen Jaroslav wirklich erleben läßt«, heißt es da. »Es ist ein rundes, künstlerisch geschlossenes Buch, das Glückwünsche und Zukunft verdient.« »Der Mädchenhirt« ist 1914 im Erich Reiss Verlag, Berlin erschienen. Bis zum Machtantritt der Nazis sind in diesem Verlag fast alle Kisch-Bücher zuerst verlegt worden.                                                       August 2012


Kisch in Leipzig

Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke in Leipzig hat in der Reihe »Fundsachen« den Titel »Leipziger Reportagen von Egon Erwin Kisch« veröffentlicht. Als Herausgeber hat sich der Leipziger Publizist und Literaturwissenschaftler Edmund Schulz verdient gemacht. Seine Auswahl enthält Texte, die in der Mehrzahl zuerst im Tagebuch, in der Weltbühne oder aber im Leipziger Tageblatt veröffentlicht worden sind, bevor sie in Sammelbänden aufgenommen wurden. Dazu gehören »Im Elternhaus der Reclam-Bändchen«, »Die Giftschränke der Deutschen Bücherei« und »Der Brühl in Leipzig«. In seinem Vorwort teilt Schulz erstaunliche Informationen über Kischs Aufenthalte in Leipzig mit, über über Hintergründe und Zusammenhänge betreffend der veröffentlichten Reportagen. Diese »Fundsache« umfaßt 31 Seiten und kostet 12 Euro.                                                       Juni 2012

 

 
 

 

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