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Kisch & Co
In der Oranienstraße 25 gibt es einen Buchladen mit dem
originellen Namen: Kisch & Co. Er befindet sich im Künstlerhaus
Bethanien mit Gewerbehof aus dem Jahre 1910. Kisch & Co war kürzlich
in mächtiger Bredoullie. Der Hauseigentümer, der berühmte
Kunstsammler Berggrün, hat Kisch&Co gekündigt. Sogar ein Nachmieter
stand unter Vertrag: Der vigilante Brillen-Verkäufer Ace&Tate aus
Amsterdam. Kisch&Co-Eigentümer Torsten Willenbrock kann man jedoch
nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Er lässt Flyer drucken mit den
Adressen von Berggrüns Häusern in Berlin, mobilisiert seine
Sympathisanten, diese Druckschriften dort zu verteilen, organisiert
eine Kundgebung vor dem Büro der Berggrün-Holding, auf denen gegen
die geplante Vertreibung protestiert wird und die an Berggrüns
Häuser verschickt werden. Ein Kisch&Co-Freund bringt gar ein Buch
zur Berggrün-Holding mit der Inschrift: »Können Sie sich eine Welt
ohne Bücher vorstellen?« Der öffentliche Druck hat Wirkung und die
Berggrün Holding schließlich Einsehen. Die Kündigung wird zurück
gezogen. Berggrün bekommt davon live natürlich nichts mit. Er lebt
in Amerika. Dennoch: Kompliment. Nun hat Willenbrock die nächste
Hürde zu nehmen: Eine Insolvenz. Der Verkauf seiner Bücher reicht
nicht für die Ladenmiete. Also alle hin in die Oranienstraße 25:
Kauft Bücher bei Kisch&Co.
April 2017
Hentrich & Hentrich
Alljährlich bekomme ich einen Brief vom Berliner Verlag Hentrich &
Hentrich. Dieses Verlagshaus widmet sich ausschließlich der
Herausgabe jüdischer Literatur und von Werken zur Zeitgeschichte,
Schriften des Centrums Judaicum, Schriften zur Topographie des
Terrors u. a. Das Glanzstück aber sind die jüdischen Miniaturen. In
dieser kleinen Bücherreihe werden Porträts von jüdischen
Persönlichkeiten veröffentlicht, die Deutschland mit ihren Werken
unermeßlich bereichert haben – und ohne die dieses Land niemals das
wäre, was es ist. Da findet man Albert Einstein und Anna Seghers,
Paul Levi, Salamona Rossi und Kurt Tucholski. Herausgeber Reihe ist
Hermann Simon, der Chef des Centrums Judaicum. Es war im Jahre 2008,
da rief ich im Verlag an und hatte den alten Herrn Hentrich am
Apparat. Ich konnte mich gar nicht so schnell auf die Socken machen,
wie er mich erwartete. Im Nu waren wir uns einig. Da die Büchlein
dieser Reihe einen farbigen Einband haben, fiel mir die Wahl zu. Ich
nahm Blau, meine Lieblingsfarbe. Und als Porträt in einem Medaillon
auf dem Einband wählte ich das Kischs Cousin Edmund Ascher gemalt
hat: Kisch mit Butterblume, wie man den kreissägerunden Strohhut
nennt. In dem Brief teilt mir die jetzige Besitzerin des Verlages,
Dr. Dora Pester, mit, das von meinem Kisch-Büchlein – das nur noch
im Jüdischen Museum in der Torstraße in Berlin angeboten wird – im
vergangenen Jahr 35 Exemplare verkauft worden sind. Immerhin.
Jegliche andere Literatur ist nach so langer Zeit von der Bildfläche
längst verschwunden.
April 2017
Eddi und Upton
Dr. Edmund Schulz ist kurz vor seinem 84. Geburtstag verstorben –
mein Freund Eddi aus Leipzig. Kennen gelernt haben wir uns bei
Ossietzky. Ich hatte einen Beitrag über Kisch veröffentlicht und er
hatte eine ergänzende Bemerkung dazu. Das ist lange her – es war
noch im vorigen Jahrhundert. Seitdem standen wir in Kontakt, der
immer enger wurde. Und im Laufe der Zeit entstand daraus eine
Freundschaft. Immer, wenn Eddi irgendwo etwas über Kisch entdeckt
hatte, rief er mich an. Und so, wie ich meine ganze Aufmerksamkeit
dem Wirken und Werk dieses Jahrhundert-Journalisten widme, so galt
seine literarische Arbeit Upton Sinclair. Dem in Deutschland
meistverkauften und meistgelesenen Autor der 20er Jahre des 20.
Jahrhunderts. Upton Sinclair war vor allem in den Arbeiterfamilien
zu Hause. Er gab mit seinen Büchern. Mut und Hoffnung. – so, wie
sein Freund Egon Erwin Kisch. Eddi war im deutschsprachigen Raum der
absolute Sinclair-Experte. Verdient gemacht hat er sich mit einer
Bibliographie über ihn. Er hat eine immense Arbeit geleistet, um das
gesamte in Deutschland vorliegende Werk zu erschließen. Eddies
Lebensweg hat in einfachen Verhältnissen begonnen. In Kiel ist er
geboren und aufgewachsen. Als er sich die Welt ansah, stellte er
fest, dass die Freie Deutsche Jugend auch seine Ziele Vertrat:
Frieden, Freundschaft, Völkerverständigung. Wer sich dafür einsetzte
und noch dazu seine Sympathie für die DDR nicht verhehlte – der
hatte nichts Gutes zu erwarten im Adenauerstaat. Mit dem Altnazi
Globke und den zahllosen Nazimördern in allen Schlüsselpositionen.
Aufgrund seiner politischen Aktivitäten drohte Eddi eine
Gefängnishaft. Dem entzog er sich, indem er 1953 als 20jähriger in
die DDR übersiedelte. Hier erhielt der Arbeiterjunge die Möglichkeit
zum Studium und zur Promotion. An der Karl-Marx-Universität Leipzig
fand er Erfüllung als Journalistikwissenschaftler. »Er hatte sich
noch soviel vorgenommen bei seiner Arbeit über Sinclair.«, sagte mir
seine Witwe. »Er war immer noch nicht fertig.« Adieu, Eddi. Alles
Gute da oben – auch mit Upton Sinclair.
April 2017
Der Arbeiterfotograf
Hermann Leupold (1900-1967) war ein warmherziger, gutmütiger Mensch.
Immer sprach er leise und bedächtig. Niemals hörte ich aus seinem
Munde ein lautes oder böses Wort. Ich lernte ihn kennen, da war ich
siebzehn. Im Jahre 1947 bin ich in den Berliner Verlag eingetreten,
dessen Chef er war. Insbesondere aber widmete er sich der
Fotografie. Hermann Leupold hatte seine Laufbahn als
Arbeiterfotograf begonnen. Ja, man kann ihn gut und gerne als
Vorkämpfer der Arbeiterfotografen und der Arbeiterfotografie
bezeichnen. Er war maßgeblich beteiligt am Zusammenschluß der
Arbeiterfotografen in Deutschland, an der Gründung und Herausgabe
des Vereinsorgans »Der Arbeiterfotograf«. Neben anderen Funktionen
war er in der Weimarer Republik Präsident der Vereinigung der
Arbeiterfotografen Deutschlands und Mitglied im Reichsvorstand der
Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). Im Jahre 1929 wurde er
Umbruchredakteur der wöchentlich erscheinenden Arbeiter
Illustrierten-Zeitung (AI-Z), mit 550 Tausend Exemplaren Auflage die
einflußreichste kommunistische Publikation in Deutschland. In dieser
Zeit hatte er engen Kontakt zu Egon Erwin Kisch, mit dem ihn bis zum
Lebensende eine herzliche Freundschaft verband. Nach der
Machtübernahme der Faschisten erschien das Blatt in Prag, bis dort
im Jahre 1938 die deutschen Faschisten einfielen. Hermann Bruno Paul
Leupold emigrierte nach England und nahm das Pseudonym Karel Vanek
an. Im Berliner Verlag – wo ich in der Bildredaktion der »Berliner
Zeitung« sowie der Wochenzeitschrift für junge Leute, »Start«,
beschäftigt war, hat er mich ein wenig unter seine Fittiche
genommen. 1949 habe ich dort ein Volontariat absolviert. März
2017
Ein Hamburger grüßt
René Senenko aus Hamburg, den ich bei einer Münzenberg-Veranstaltung
in Berlin kennen gelernt habe, schreibt, dass er die stets
interessanten - den Umständen entsprechend leider seltenen -
Kisch-Neuigkeiten sehr gern lese. Der Hamburger bemüht sich
seinerseits sehr rührig, Leben und Werk des Hamburger
Arbeiterschriftstellers Willi Bredel (1901-1964) wach zu halten.
Bredel ist u. a. Autor der Romantrilogie »Verwandte und Bekannte«
(»Die Väter« - »Die Söhne« - »Die Enkel«).
Dezember 2016
Symphatisant aus den Niederlanden
Ein Symphatisant aus den Niederlanden hat sich gemeldet: Eveert
Meyjer aus Leeuwarden. Er habe seine »Liebe zu Egonek entdeckt als
ein Teil/Kapitel meiner Studien im Jahre 1920«, schreibt er. Und
dann fragt er: »Hat Egonek auch über den Ersten Weltkrieg
geschrieben?. - Ja, das hat er. Kisch hat mit dem Prager
Hausregiment an der serbischen Front gekämpft und ist dort verletzt
worden. Während des Fronteinsatzes hat er sich ständig Notizen
gemacht. Seine Kameraden, denen das natürlich nicht entgangen ist,
haben daraufhin - wenn etwas Besonderes passiert ist - gerufen:
»Schreib das auf, Kisch!« Unter diesem Titel ist im Jahre 1930 im
Erich Reiss Verlag Berlin eine Neuauflage seines Kriegstagebuches
erschienen. Zuerst hatte es der Verlag der Andréschen
Verlagsbuchhandlung Leipzig-Prag als »Soldat im Prager Korps« im
Jahre 1922 herausgebracht.
Dezember 2016
Freiheitskampf vor 80 Jahren
Vor 80 Jahren, im November 1936, hat in Spanien der
antifaschistische Freiheitskampf gegen die Truppen des spanischen
Generals Franco sowie seiner Verbündeten Hitler und Mussolini
begonnen. Die drei Faschistenführer wollten die demokratisch
gewählte Regierung der zweiten Republik vernichten. Zu den brutalen
faschistischen Kampfmethoden gehörte auch der Einsatz deutscher
Sturzkampfbomber - Stukas genannt. Diese modernen Kampfflugzeuge
haben im Auftrage Hitlers die baskische Stadt Guernica dem Erdboden
gleichgemacht und vorsätzlich hunderte Frauen und Kinder gemordet.
Der Spanier Pablo Picasso hat darauf das weltbekannte Gemälde
»Guernica« geschaffen. An dem Kampf gegen den internationalen
Faschismus haben auch zehntausende Freiwillige aus aller Welt
teilgenommen. Diesem Thema hat neues deutschland am 17.
November einen ausführlichen Artikel gewidmet. Darin wird über ein
Gedenken an Schauplätzen der damaligen Kämpfe berichtet, an denen –
bis auf den 97 jährigen Joseph Almudever, den einzigen Überlebenden
jener Kämpfe – ausschließlich Nachkommen der Interbrigadisten aus
etwa fünfzehn Ländern teilgenommen haben. Ausführlich wird der
Besuch in dem ursprünglichen Luxusort Benecasim bei Valencia
berichtet, der zum Lazarettort für die Interbrigadisten umgewandelt
worden war. In dem Lazarett arbeitete der Jüngste der fünf
Kisch-Brüder – Bedrich Kisch – als Chirurg. Er verarztete auch Max
Baier, den Helden in Egon Erwin Kischs berühmter Spanien-Reportage
»Die drei Kühe«.
November 2016
Wagenbach im Nahverkehr
Erst jetzt ist mir, leider, ein ganz und gar außergewöhnliches
Büchlein in die Hände geraten: »Störung im Betriebsablauf - 77 kurze
Geschichten für den öffentlichen Nahverkehr - gesammelt von Klaus
Wagenbach«. Es sind nicht nur kurze Geschichten, sondern kürzeste
und noch kürzere. Manche fast nicht länger als eine Anekdote.
Wagenbach hat seine Fundstücke in Gruppen geordnet:
Auf dem Bahnsteig - Kürzeststrecken - Unterbrechung:
Fahrscheinkontrolle - Kurzstrecken Fortsetzung - Zwei Stationen -
Drei Stationen. Oder: Halt auf freier Strecke - Überland. Um dem
Leser eine besondere Spannung zu liefern, hat er den Texten den
Namen von Autorin oder Autor versagt. So könnten zwei Personen die
Texte zusammen lesen und zugleich die Herkunft erraten, empfiehlt
Wagenbach. Wer die Mehrzahl der Schöpfer der Texte erkennt, hat
gewonnen. Im Anhang werden sie natürlich angeführt, genauso wie die
Quellen. Am Anfang des Büchleins stehen zwei Prager. Als Vorwort
gewissermaßen eine Kurzgeschichte von Franz Kafka in originaler
Schriftgröße und Typographie der Erstausgabe. (»Ein Landarzt«,
1919). Und das Motto lieferte Egon Erwin Kisch: »Die Untergrundbahn
ist ein wesentliches Kennzeichen der Großstadt. Oben auf der Straße
ist kein Platz mehr für die Menschen.« Das gute Stück hat 144
Seiten, ist broschiert in schlanker Klappenbroschur und kostet 9,90
Euro.
Juni 2016
UMBO mit Kisch in Berlin
UMBO ist ein Künstlername, der in den »Goldenen Zwanzigern« der
Weimarer Republik berühmt gewesen ist. Viele Jahrzehnte war er in
Vergessenheit geraten. Nun ist er wieder vor das Objektiv der
Öffentlich geholt worden. Hinter dem Künstlernamen verbirgt sich der
Fotograf Otto Maximilian Umbehr (1902 – 1980). In Berlin ist er 1926
zur Fotografie gekommen. Neuartige Porträtaufnahmen der Berliner
Bohemé hat er geschaffen, Charakteristisch für seine
Schwarz-Weiß-Fotografien sind harte Licht-Schatten-Kontraste sowie
ungewöhnliche Perspektiven und Ausschnitte. Ein Porträt mit Hand von
Ruth Landshoff (1906 – 1966) machte ihn in der Kunstszene
schlagartig berühmt. Eigentlich Ruth Landshoff York, war sie ein
Glitzergirl und eine Stilikone jener Zeit. Sie stammte aus dem
jüdischen Bürgertum, war Nichte des Verlegers Samuel Fischer (1859 –
1934). UMBO ist zu einem der Begründer einer neuen Foto-Ästhetik
geworden – dem »Neuen Sehen«. Ein weiteres Hauptthema war für ihn
die Melancholie der Großstadt. Als Flaneur durchstreifte er Berlin
mit der Kamera. UMBO war 1921 bis 1923 Schüler des staatlichen
Bauhauses in Weimar. Dort ist er stark durch die »Grundlehre« von
Johannes Itten (1888 – 1967) beeinflußt worden. Er gilt neben László
Moholy Nagy (1885 – 1966) als der bedeutendste Fotograf des
Bauhauses. Allerdings hatte er auch eine schwache Seite. Er ließ
sich von König Alkohol packen; einmal ist er im legendären
Romanischen Café volltrunken ohnmächtig zusammen gebrochen. In
diesem Treffpunkt der Berliner Bohemé hat er vermutlich auch Kisch
kennen gelernt. Von ihm hat UMBO 1926 die berühmte Fotomontage als
hybriden Superreporter angefertigt Er sieht alles, er hört alles, er
spricht über alles und schreibt darüber – der Mann, dem nichts
entgeht: Zigarettenkippe im Mund, ein Ohr als Schalltrichter, ein
Auge als Kamera, rechte Hand als Schreibfeder, Beine als
Schnellläufer aus Stahlrohr. Der größte Teil von UMBOS Werken –
schätzungsweise 50 000 bis 60 000 Negative – sind in einer
Bombennacht des Jahres 1943 in Berlin verbrannt. Einen Großteil des
Restes seines Lebenswerkes – über 600 Fotografien und Schriftstücke
– haben nach langwierigen Bemühungen das Sprengel Museen in
Hannover, die Stiftung Bauhaus Dessau und die Berlinische Galerie
erworben. In der Hauptstadt – dort wo Kisch zwischen 1921 und 1933
seinen Lebensmittelpunk hatte – befindet
sich nun auch die Fotomontage des Rasenden Reporters.
Juni 2016
Kisch Preis für Königsklasse
Das Verlagshaus Gruner+Jahr und das in ihm erscheinende Magazin
»stern« haben den Nannen Preis 2016 in sechs Kategorien verliehen:
Reportage, Web-Reportage, Investigation, Dokumentation,
Foto-Reportage und Inszenierte Fotostrecke. 982 Texte sind
eingereicht worden Mit diesem Preis will man »Qualitätsjournalismus
im deutschsprachigen Raum fördern und pflegen«. Die Reportage als
Königsklasse des Jounalismus wird nach wie vor als Egon-Erwin-Kisch
Preis verliehen. Als solcher war die begehrte Trophäe im Jahre 1977
von Henry Nannen gestiftet worden. Sie wird traditionsgemäß
unmittelbar vor dem Geburtstag des Rasenden Reporters am 29. April
(29.04.1885 – 31.03. 1948) verliehen. 2016 ist Jan Christoph Wichmannn damit geehrt worden. In einer »Stern«-Reportage mit dem
Titel »Drei Krieger« hat der Autor einen Bundeswehr-Soldaten, einen
Taliban-Kommandanten und einen US-Piloten porträtiert, die am 2.
April 2010 bei einem Gefecht in Nord-Afghanistan aufeinander
getroffen waren.
April 2016
Kisch und das Judentum
Das Ludwig Rosenberg Kolleg (LRK) des Moses Mendelsohn Zentrums
und der Hans-Böckler-Stiftung hat Ende Januar Anfang Februar in
Berlin eine Tagung zum Thema »Streben nach Emanzipation? Judentum
und Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert« abgehalten. Da konnte Egon
Erwin Kisch natürlich nicht fehlen. Ihm hat sich eingehend Marcus
Patka vom Jüdischen Museum in Wien gewidmet. »Sein Judentum war ihm
weder Makel noch Auszeichnung, sondern Zufall der Geburt«,
konstatierte Patka. »Quer durch sein literarisches Werk ziehen sich
Beobachtungen über jüdische Gemeinden aus Geschichte und Gegenwart
in aller Welt. Vor der kultur-historischen Leistung seiner Vorfahren
hatte Kisch größten Respekt, doch den Wunderglauben des Ostjudentums
und sein Verharren in mittelalterlichen Strukturen lehnte er ab.«
Anja Jungfer vom LRK referierte über die kommunistische
Emigrantenzeitschrift »Gegen Angriff«, die ab April 1933 in Prag
unter Chefredakteur Bruno Frei erschienen ist. Sie stellte unter
anderem fest: »Der ›Gegen Angriff‹ befasste sich recht intensiv mit
der aktuellen Lage der Juden, wobei sie nicht ausschließlich auf die
zunehmenden nationalsozialistischen Repressalien innerhalb
Deutschlands und deren innenpolitische Funktion zum Machterhalt
rekurrierte.« Anja Jungfer beschäftigt sich seit Jahren auch
intensiv mit Kisch. Ihre Magisterarbeit an der Uni Potsdam hat das
Thema »Bezug zum Judentum in Egon Erwin Kischs Gesamtwerk«. Und ihre
Dissertationsarbeit schreibt sie über »Kisch, Otto Katz, Lenka
Reinerova und F. C. Weiskopf beziehungsweise über deren
Berührungspunkte zu Judentum und Arbeiterbewegung«. Der Journalist
Otto Katz (1893-1952), er publizierte unter dem Namen André Simone,
war federführend beteiligt an der Herausgabe des »Braunbuches über
Reichstagsbrand und Hitler-Terror«, der ersten Dokumentation über
die Naziverbrechen. Lenka Reinerová (1916-2008), wie Kisch in Prag
gebürtig und wie er zuerst nach Frankreich und von dort nach Mexiko
emigriert, war in den letzten Jahren ihres Lebens die Rolle der
Grand Dame der Prager deutschen Literatur zugefallen. Sie hat unter
anderem mehrere Bände mit Erzählungen veröffentlicht. Der Journalist
und Schriftsteller F. C. (Franz Carl) Weiskopf (1900-1959) war
Chefredakteur der legendären »Arbeiter-Illustrierte Zeitung«, als
sie bis zum Einmarsch der deutschen Okkupanten 1938 in Prag heraus
gegeben worden ist, nachdem sie 1933 vor dem Naziterror aus Berlin
hatte fliehen müssen.
Februar 2016
Das 105. Berliner Sechstagerennen
»Zum zehnten Male, Jubiläum also, wütet im Sportpalast in der
Potsdamer Straße das Sechstagerennen. Dreizehn Radfahrer, jeder zu
einem Paar gehörend, begannen am Freitag um neun Uhr abends die
Pedale zu treten, siebentausend Menschen nahmen ihre teuer bezahlten
Plätze ein, und seither tobt Tag und Nacht, Nacht und Tag das
wahnwitzige Karussell. An die siebenhundert Kilometer legen die
Fahrer binnen vierundzwanzig Stunden zurück.« So beginnt Kischs
berühmte Reportage »Elliptische Tretmühle« über dieses sportlich
Großereignis im Berlin der »Goldenen Zwanziger«. Am 28. Januar 2016
hatte dieses weltweit am häufigsten ausgetragene Sechstagerennen ein
Jubiläum: »Im Velodrom startet heute das 105. Sechstagerennen. Zu
einer Zeit, als die Radfahrer noch im Sportpalast um die Wette
rasten, war Reporterlegende Egon Erwin Kisch dabei. Wir
veröffentlichen hier seine Reportage aus dem Jahr 1925.« So kündigt
Der Tagesspiegel den Abdruck dieses Kisch-Klassikers in der Ausgabe
vom 28. Januar an. Zum ersten Mal ist das Sechstagerennen im
Sportpalast 1911 ausgetragen worden – ein Jahr nachdem der
Sportpalast eröffnet worden ist. Kischs Reportage berichtet vom
Jubiläumsrennen im Jahre 1923. Gedruckt ist sie erstmals in dem
Reportagebuch »Der rasende Reporter«, im Erich Reiss Verlag Berlin
erschienen mit Jahresangabe 1925. Aber bereits zum Jahresende 1924
ist der Titel, mit dem Kisch der Durchbruch auf dem deutschen
Buchmarkt gelungen ist, im Handel gewesen.
Januar 2016
Rudolf Schlichter in Koblenz
Unter dem Titel »Eros und Apokalypse« zeigt das
Mittelrhein-Museum in Koblenz von November 2015 bis Mitte Februar
2016 eine Werkschau von Rudolf Schlichter (1890 – 1953). Schlichter
war ein herausragender Künstler der Goldenen zwanziger Jahre in der
Weimarer Republik und neben George Grosz und Otto Dix einer der
bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Einige seiner Werke
werden zu den allgemein anerkannten Ikonen der Kunst des 20.
Jahrhunderts gezählt, in erster Linie die Porträts von Bertolt
Brecht im Münchner Lenbachhaus und Egon Erwin Kisch in der
Mannheimer Kunsthalle
(Öl auf Leinwand, 88 x 62 cm). Schlichter hat
Kisch vor einer Litfaßsäule vor dem legendären Romanischen Café in
Berlin postiert, wo der Mann aus Prag seit seiner Ankunft in Berlin
Ende 1921 einen Stammplatz hatte. Die Litfaßsäule ist mit Plakaten
versehen, die auf unterschiedlichste Texte und Aktivitäten des
rasenden Reporters verweisen: Seinen Einsatz für die
Arbeiterorganisation Rote Hilfe; den entschiedenen Kampf zur
Freilassung des sächsischen Arbeiterführers Max Hoelz, der mit Hilfe
einer fingierten Mordanklage im Jahre 1921 zu lebenslänglichem
Zuchthaus verurteilt worden war; das 1927 erschienene Buch des
amerikanischen Reporters John Reed »Zehn Tage, die die Welt
erschütterten« über die Oktoberrevolution, zu dem Kisch das Vorwort
geschrieben hat; Werbungen für den Erich Reiss Verlag Berlin, in dem
der größte Teil der Kisch-Bücher zuerst verlegt worden ist sowie für
den Neuen Deutschen Verlag des linken Münzenberg-Konzerns, der auch
etliche Kisch-Titel herausgebracht hat; und schließlich ein Plakat
für ein Fußballspiel in Prag, das daran erinnert, dass Jung-Egonek
Mitbegründer des Prager Fußballklubs »Sturm« gewesen und schließlich
zum Ballwart und Kapitän erkoren worden ist. Natürlich hat
Schlichter auch nicht auf die obligatorische Zigarette im rechten
Mundwinkel des Jahrhundert-Journalisten verzichtet. Eine Abbildung
des Gemäldes ziert den Schutzumschlag des Buches »Kisch war hier – Reportagen über den rasenden Reporter« von Klaus Haupt und Harald
Wessel, erschienen zu Kischs 100. Geburtstag im Jahre 1985 im Verlag
der Nation Berlin.
Dezember 2015
Museum für Christian Schad
Die Stadtverwaltung von Aschaffenburg hat Anfang November
mitgeteilt, dass ab 2017 das umfangreiche Werk des Malers Christian
Schad (1894-1882) in einem eigens dafür gebauten Museum in der
fränkischen Stadt ausgestellt wird. Die 2002 verstorbene Witwe des
Künstlers, Bettina Schad, hatte die Sammlung ihrer
Christian-Schad-Stiftung vermacht. Es handelt sich dabei um mehr als
3000 Werke aller Gattungen, die nunmehr nicht nur präsentiert,
sondern auch wissenschaftlich aufbereitet werden sollen. Christian
Schad hatte bis zu seinem Tode fast vierzig Jahre in oder bei
Aschaffenburg gelebt. Berühmt ist er für seine realistischen
Porträts von Zeitgenossen der Weimarer Republik sowie für seine
abstrakten Fotogramme geworden. Zu den Berühmtheiten, die er auf
Leinwand verewigt hat, gehört Egon Erwin Kisch. Schad hat dafür eine
außergewöhnliche Position gewählt: Der rasende Reporter vor einem
Baukran mit freiem Oberkörper – versehen mit echten bzw.
vorgetäuschten Tätowierungen. Verbürgt ist: Auf einer Postkarte aus
Kopenhagen, die am 13. IV. 1924 abgestempelt ist, berichtet Kisch
seiner Prager Freundin und Mitarbeiterin Jarmila Haasová: »Heute
habe ich mir einen herrlichen Neger auf die Schulter tätowieren
lassen, damit ich eine ewige Erinnerung an Kopenhagen habe.« Kisch
war ein Freund von Tätowierungen.
In seinem autobiografischen Buch »Marktplatz der Sensationen«
erzählt er folgende Geschichte: Während seiner
Einjährig-Freiwilligen Militärzeit war er wegen Ungehorsams zu einer
Haft in Einzelzelle verurteilt worden.
Zur gleichen Zeit war auch ein Lithograph inhaftiert, der während
abendlicher Zellenfreigänge seinen Mithäftlingen Tätowierungen
verpaßte. Statt, wie vereinbart, eines harmlosen Stillebens hat der
Litograph auf Kischs Rücken »hinterlistig und hinterrücks die
bösartigste Karikatur« eingestochen: Das Porträt des kommandierenden
und legendären Oberst Ferdinand Knopp von Unterhausen, der schon
unter Feldmarschall Radetzky gedient hatte. Die Geschichte »Das
tätowierte Porträt« gehört zu den Glanzstücken der Heiterkeit in
Kischs Buch. Sie endet mit der Schilderung, wie die Frau des
Obersten das Bildnis in Augenschein nimmt. »›Ferdinand!‹ flüsterte
die Frau Oberst bewegt, als sie ihren Mann vor sich sah, ›mein
Ferdl‹, hauchte sie hingebungsvoll und beugte sich nieder, um ihn
mit Küssen zu bedecken.«
Dezember 2015
Hauptpreis: Kisch-Trophäe
Gruner + Jahr hat in eigener Sache bekannt gegeben, dass
nach einjähriger Pause der 2005 begründete Henry Nannen Preis im
Jahre 2016 wieder vergeben wird. Das neue Konzept bietet »mehr
Journalismus, weniger Brimborium«. Der renommierteste deutsche
Journalistenpreis – jetzt einfach »Nannen Preis« benannt – wird in
sechs Kategorien verliehen. Die gedruckte Form
werde jedoch weiterhin »die Königsklasse« sein, wird betont. Dabei
steht die Reportage an erster Stelle: »Die nun wieder auch offiziell
Egon-Erwin-Kisch genannte Trophäe gilt als Hauptpreis.« Es sei »wohl
auch gut so«, heißt es, dass Nannen »damit nicht mehr ganz so
präsent« sei. Es habe nämlich in der Vergangenheit mehrfach Eklats
gegeben, weil internationale Preisträger auf Nannens Vergangenheit
als Kriegsberichterstatter des Naziregimes verwiesen haben, den Preis zurück geben und
die dazu gehörende Bronzebüste des Stifters einschmelzen wollten.
Nannens Bronzebüste gehört deshalb künftig auch nicht mehr zum
Preis. Es sei eine neue Preisikone vorgesehen. Die Preise werden am
28. April in Hamburg verliehen. Gastgeber der Verleihung ist der »stern«.
November 2015
Große oder kleine weiße Taube
Unter der Überschrift »Anfrage« vom Juni des Jahres ging es um
Kischs Aufenthalt im Frühjahr 1927 in der Pension Weiße Taube in
Bollersdorf bei Buckow in der Märkischen Schweiz. Im
Hintergrundgrund stand auch die Frage, in welcher weißen Taube Kisch
gewohnt hat: In der großen weißen Taube auf einer Anhöhe oder in der
kleinen weißen Taube direkt am Ufer des Schermützelsees. Harald
Schadek vom Freundeskreis John Heartfield Waldsieversdorf e. V. hat
für Klarheit gesorgt. Er schickte ein Jahrbuch »Märkisch-Oderland«.
Unter der Überschrift »Der rasende Reporter in Bollersdorf« schreibt
er, dass es die kleine weiße Taube gewesen ist. Zum Beweis ist eine
Ansichtskarte abgedruckt, die Kisch am 23. März 1927 an seine Mutter
Ernestine nach Prag geschrieben hat. Auf dem Bild ist die Pension
abgebildet mit der Unterschrift: »Historische kleine weiße Taube –
Bad Buckow.« Die große weiße Taube existiert noch. Die Kleine ist
vor vielen Jahrzehnten abgerissen und durch ein Gebäude ersetzt
worden, in dem in der DDR das Betriebsferienheim der Redaktion
»Junge Welt« untergebracht war und in dem sich nun Hotel und
Restaurant »Johst am See« befinden. René Senenko von der
Willi-Bredel-Gesellschaft/Geschichtswerkstatt e. V. in Hamburg
berichtete von einem Ausflug mit einer Gruppe von Mitgliedern der
Gesellschaft auf den Spuren des rasenden Reporters nach Bollersdorf.
Er übermittelte ein Foto, das ihn und seine Gefährten vor dem
Gedenkstein mit der Aufschrift zeigt: »EGON ERWIN KISCH – 1927«.
Der durch die Zeiten rund geschliffene Naturstein ist zu Kischs 100.
Geburtstag am 29. April 1985 von Verlag und Redaktion »Junge Welt«
in der Nähe des Platzes aufgestellt worden, an dem einst die
»Historische kleine weiße Taube« stand. Etwa von dieser Stelle aus
führt auch ein Sandweg aufwärts zur großen weißen Taube, der aus
selbem Anlaß 1985 zum Egon-Erwin-Kisch Weg getauft worden ist.
Oktober 2015
Kisch beim »Münzenberg-Konzern«
Ein Internationaler Willi Münzenberg Kongress hat in der zweiten
Septemberhälfte in Berlin stattgefunden. Thema war u. a. die
Leistung des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Münzenberg
(1889-1940) bei der Schaffung eines Geflechts publizistischer
Unternehmen als proletarische Gegenöffentlichkeit zu dem
reaktionären Medienkonzern (u. a. Scherl-Verlag, Ufa) von Alfred
Hugenberg, dem Deutschnationalen, Finanzier und Wegbereiter Hitlers,
sowie zu der Lügenpropaganda des Nazis Josef Goebbels. Nachdem
Münzenberg 1921 von Lenin mit der Organisation einer Internationalen
Arbeiterhilfe (IAH) für die Hungernden in Sowjetrußland betraut
worden war, kaufte er 1924 den »Neuen Deutschen Verlag«. Damit war
in Berlin der Grundstein gelegt für das, was später intern
»Münzenberg-Konzern« genannt wurde. Dazu gehörten: die illustrierte
Wochenzeitschrift »Arbeiter-Illustrierte Zeitung« (A-I-Z) mit einer
Spitzenauflage von rund 500 000 Exemplaren, berühmt für die
Titelseiten mit Fotomontagen von John Heartfield; die Tageszeitungen
»Welt am Abend« und »Berlin am Morgen«; die Zeitschriften »Mahnruf«,
»Magazin für Alle«, und »Welt der Frau«; die Filmfirmen »Prometheus«
und »Weltfilm«; sowie schließlich die »Universum-Bücherei für Alle«.
Zu den prominenten Autoren des Unternehmens zählte Egon Erwin Kisch.
Er verfaßte für die Tageszeitungen u. a. Artikel und Berichte, für
die »A-I-Z« schrieb er Reportagen und lieferte auch frische Texte
von seinen Reisen für Reportagebände. Die »Universum-Bücherei«
verlegte nicht nur Kisch-Bücher, nachdem sie in Erstauflage in
Kischs Hausverlag Erich Reiss Berlin herausgebracht worden waren,
sondern auch neue Titel wie »Wagnisse in aller Welt« mit speziell
dafür geschriebenen beziehungsweise bearbeiteten internationalen
Reportagen.
September 2015
70 Jahre Aufbau-Verlag
»Gestern. Heute. Aufbau. 70 Jahre Aufbau Verlag 1945 – 2015« Unter
diesem Titel hat »aufbau« ein Buch von Carsten Wurm veröffentlicht,
worin die Geschichte dieses bedeutenden deutschen Verlages
beschrieben wird. Sie hat am 16. August 1945 in Berlin mit dem
Antrag begonnen, »eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter
der Firmenbezeichnung Aufbau-Verlag GmbH« zu gründen. Unter den vier
Gründern befand sich Klaus Gysi, später auch Chef des Verlages. Im
Laufe der Jahre ist dieses Verlagshaus zu einem brillanten
Unterhaltungs- und Bildungsunternehmen der DDR entwickelt worden. Zu
den ersten Autoren gehörte Egon Erwin Kisch. Premieren-Titel war
1947 der autobiografische »Marktplatz der Sensationen«, dessen
Einband abgebildet ist. Im selben Jahr schrieb Kisch an Cheflektor
Max Schröder – einen Freund aus der Berliner Zeit während der
Weimarer Republik: »dass Du eine Gesamtausga-
be herausgeben willst, ist allerdings eine Absicht, die mit meinem
Alterstraum zusammenfällt.« Der Schriftsteller Bodo Uhse und Kischs
Ehefrau Gisl brachten dieses Werk auf den Weg. In schneller Folge
wurden ab 1950 nach einheit-
lichem Prinzip Kischs Werke ediert; es erschien in X Bänden.
Außerdem wurden diverse Einzelausgaben herausgegeben. Auch die
beliebte »Deutsche Volks-
bibliothek«, im Frühjahr 1954 mit Feuchtwanger, Goethe, Heinrich und
Thomas Mann sowie Puschkin auf dem Buchmarkt gebracht, zählte Kisch
zu den ihren. Autor Carsten Wurm hat eine Verlagsgeschichte
geschrieben, die sich wunderbar liest. Er ist auch ein erstklassiger
Mann der Welt des Buches, ein außerordentlicher Kenner des Aufbau
Verlags. Von 1982 – 1995 war er dessen Archivar, er ist
Chefredakteur der von der Pirckheimer Gesellschaft heraus gegebenen
Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, »Marginalien«, hat
einige Buch-Bücher veröffentlich und betreibt im Prenzlauer Berg in
Berlin ein Antiquariat. Das Buch kostet 12 €.
August 2015
Nannen und Kisch
Der Verlag Gruner + Jahr hat Mitte Juli in Hamburg mitgeteilt, dass
der von Verlag und stern gestiftete Henri-Nannen-Preis für
außergewöhnliche journalistische Arbeiten im deutschsprachigen Raum
im Jahre 2016 wieder vergeben werden soll. Der Preis ist erstmals im
Jahre 2005 für im Jahre 2004 veröffentlichte Arbeiten verliehen
worden und war im Jahre 2014 wegen Sparmaßnahmen ausgesetzt worden.
Konzeption und Präsentation des Preises werden derzeit überarbeitet,
heißt es. Mit dem Henri-Nannen Preis ist der von stern-Gründer
Nannen im Jahre 1977 gestiftete und gleichfalls in mehreren
Kategorien verliehene Egon-Erwin-Kisch-Preis ersetzt worden. In der
Präambel dieses Preises wurde erinnert: »Schreib das auf, Kisch!« Es
ist der Titel des Kriegstagebuches von der serbischen Front zu
Beginn des 1. Weltkriegs, das im Jahre 1930 im Verlag Erich Reiss,
Berlin, erschienen ist (erstmals 1922 als »Soldat im Prager Korps«
veröffentlicht). Als Herzstück des Henri-Nannen-Preises, so die
Stifter, wurde »in der Königsklasse der Schreiber, der Reportage«,
der Egon-Erwin-Kisch-Preis beibehalten.
Juli 2015
Anfragen
Die Kisch-Verehrerin Edda Gutsche, Journalistin und Schriftstellerin, interessierte bezüglich des
Aufenthaltes von Kisch im Frühjahr 1927 in der Pension Weisse Taube
bei Bollersdorf am Schermützelsee u. a. die Frage: Hat Kisch dort
seinen 42. Geburtstag nur mit Jarmila und Gisl gefeiert oder gab es
noch andere Gäste? . Die Antwort: Nein. Nur seine Freundin,
Übersetzerin und Mitar-beiterin Jarmila Haasová aus Prag und seine
spätere Frau Gisl Lyner aus Wien, zu jener Zeit noch als Sekretärin
engagiert, waren dabei. Es handelte sich damals nicht um Urlaub in
der Sommerfrische, sondern um einen sehr intensiven
Arbeitsaufenthalt, so dass weder Zeit noch Laune zum Feiern
existierten. Kisch hatte in der Zeit von März bis Mai 1927 vier
Bücher zu schreiben bzw. die Endfassung für den Druck zu erledigen.
Es handelte sich um: Zaren, Popen, Bolschewiken – den ersten
Sammelband über das Sowjetland für den Erich Reiss Verlag Berlin;
Kriminalistisches Reisebuch – eine Schilderung von Verbrechen aller
Zeiten und Länder für den Verlag Die Schmiede, Berlin; Wagnisse in
aller Welt – der erste Kisch-Titel in der Universum-Bücherei für
Alle des linksgerichteten Münzenberg Verlages, worin speziell dafür
geschriebene bzw. bearbeitete internationale Reportagen versammelt
sind; Max Hoelz: Briefe aus dem Zuchthaus – von Egon Erwin Kisch
herausgegeben und mit einem Nachwort versehen für den Erich Reiss
Verlag Berlin. Peter Zimmer aus Neumünster mailte: »Egon Erwin
Kisch besuchte die 1. Deutsche Staatsrealschule zu Prag in der
Nikolanderstr. Welchen Namen hat die Straße denn heute und steht das
Schulgebäude noch?«. Ab Ostern 1896 hat Kisch die I. Deutsche
Staatsrealschule zu Prag besucht und am 8. Juli 1903 mit der Matura,
dem Abitur im Habsburger Kaiserreich, abgeschlossen. Der
»siebenjährige Krieg« - so berichtet Kisch in seinem
autobiografischen Buch »Marktplatz der Sensationen« - als »Nikolander«
war beendet. »Nikolander« nannten sich die Schüler nach dem
deutschen Namen der Straße, in der sich die Schule befand: In der
Nikolandergasse. Die beträchtliche deutsch-jüdische Bevölkerung
jener Zeit in Prag verwendete für alle Straßen, Plätze, Gärten etc
einen deutschen Namen. Dank der freundlichen Hilfe meiner Prager
Kollegin Monika Horeni, die vor Ort recherchiert hat, kann ich nun
die Frage beantworten: Das einstige Schulgebäude befindet sich nach
wie vor in der Mikulandska ulice 5. - vor Zeiten mit der roten
Katasternummer 134 versehen. Der Zustand ist relativ gut. Das Haus
untersteht dem Pädagogischen Nationalmuseum und beherbergt die
Pädagogische Nationalbibliothek J. A. Komensky.
Juni 2015
Der 29. April
Das ist der Tag, an dem Egon Kisch im Jahre 1885 im Haus »Zu den
zwei goldenen Bären« in der Prager Altstadt geboren worden ist und
die Hebamme, Frau Rosenthal, prophezeite : Er würde ein Herzganeff
werden, ein Liebling der Frauen, denn er habe ein Grübchen am Nabel.
130 Jahre ist es her. Anlaß, mich an Veranstaltungen zu erinnern,
die zu Kisch-Jahrestagen in Berlin stattgefunden haben. Zum 100.
Geburtstag - damals existierte noch die DDR - wurde im
Konrad-Wolf-Saal der Akademie der Künste in der Luisenstraße eine
Festveranstaltung abgehalten. Der für Literatur zuständige
stellvertretende Kulturminister Klaus Höpke würdigte Kischs Leben
und Werk, Künstler lasen aus Reportagen. In der Straße Unter den
Linden ist ein »Café Kisch« eröffnet worden. Es hatte ein
außergewöhnlich schönes Interieur, die Wände waren geschmückt mit
Fotos des »Rasenden Reporters«. Vom November 1921 bis zum März 1933
hatte er in Berlin seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Das »Café
Kisch« - nach der deutschen Einheit schnöde geschleift - befand sich
Ecke Schadowstraße. Dort befand sich in den 20er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts für einige Zeit die Redaktion der
legendären »Arbeiter-Illustrierten Zeitung«. Sie hat regelmäßig
Beiträge aus Kischs Feder veröffentlicht, auch Vorabdrucke aus
Reportagebänden. Nicht unerwähnt soll auch diese Tatsache vom 100.
im Jahre 1985 bleiben: In beiden deutschen Staaten hat die Post eine
Kisch-Sonderbriefmarke herausgegeben. Aus Anlaß des 60. Todestages
von Kisch - am 31. März 2008 - ist in der ver.di-Mediengalerie im
Gewerkschaftshaus in der Dudenstraße eine großartige Ausstellung
gezeigt worden. Der Wiener Kisch-Experte Marcus Patka hat die
Bilderschau nebst Texten gestaltet. Erstmals war sie zu Kischs 50.
Todestag in Wien zu sehen. Ergänzend wurden in mehreren
Schauvitrinen seltene Bücher und Dokumente gezeigt: Handsignierte
Erstausgaben; Briefe mit Kischs berühmter kalligrafischer Schrift;
ferner der zugleich mit Kischs Totenmaske abgenommene Gipsabdruck
seiner rechten Hand samt Füllfederhalter Marke Watermann. Dafür hat
Klaus Haupt verantwortlich gezeichnet. Gefördert wurde die
Ausstellung von Gruner und Jahr; so wurden auch die Namen der
Kisch-Preisträger des stern präsentiert. Andererseits ist in einer
der Vitrinen ein Exemplar des – vom Berliner Künstler Gerhard Rommel
gestalteten – attraktiven Kisch-Preises vorgestellt worden, den der
DDR-Journalistenverband zum 100. Geburtstag im Jahre 1985 für junge
Journalisten gestiftet hat - Dies waren vermutlich die allerletzten
außergewöhnlichen Ehrungen für den Jahrhundert-Journalisten Egon
Erwin Kisch in Berlin. Deshalb diese Erinnerung.
April 2015
Rasend in anderem Sinne
Die in Berlin erscheinende Tageszeitung neues deutschland hat
auf der Titelseite der Ausgabe vom 29. April in der Rubrik »Unten
Links« einen Beitrag zu Egon Erwin Kisch veröffentlich. Darin heißt
es: »Ganz abgesehen davon, dass der große deutschsprachige
Journalist aus Prag im größer gewordenen Deutschland nur noch selten
Erwähnung findet und offenbar bei der journalistischen
Nachwuchsausbildung noch seltener – es jammert schon einen Hund, wie
wenig von seinem meisterlichen ›Handwerk‹ in der heutigen
Presselandschaft geblieben ist. Mit seinen geistreichen,
detailgetreuen, ja im wahrsten Sinne des Wortes investigativen
Geschichten ist Kisch zu Recht als rasender Reporter weltbekannt
geworden. Als einer, der seinen Lesern nicht nur von seinem
Schreibtisch aus die Welt erklärte, sondern immer mittendrin im
Leben recherchierte – und das dort Beobachtete zudem auch noch
stilsicher zu Papier bringen konnte. Die heutige Mischung aus
Politikberatung und Voyeurismus, aus gepflegten Eitelkeiten und noch
gepflegteren Vorurteilen hätten den Reporter vermutlich in ganz
anderem Sinne rasend gemacht.« Verfaßt hat den Text die
stellvertretende Chefredakteurin Gabriele Oertel.
April 2015
Elliptical Treadmill in London
Die in London erscheinende britische Sportzeitung »Roleur« hat
in ihrer November-Ausgabe Nr. 51 einen Beitrag über die »Elliptische
Tretmühle« veröffentlicht - Kischs klassische Reportage über das
Sechs-Tage-Rennen in Berlin in den ersten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts. Autor ist der in Tokio lebende britische Journalist
Graham Davis. In seinem Beitrag heißt es: »Dieses Sechs-Tage-Rennen
war ein besonderes Spektakel im Zentrum der Stadt, das einen
besonderen Journalisten verlangte, um darüber zu schreiben. Egon
Erwin Kisch war der Mann. Er hat mit unwiderstehlicher Dramatik über
ein Ereignis voller unbeschreiblicher Torturen berichtet... Kisch
war ein Mann seiner Zeit und seiner Welt. Er repräsentierte das
Image des Reporters: Notizblock in der Hand, stets eine Zigarette im
Mundwinkel, seine Themen unermüdlich zu Papier bringend, immer
aufmerksam umherstreifend, aber ein charmanter und unterhaltsamer
Mensch, dem man nachfühlen konnte, dass er eine Menge Spaß am Leben
hatte. Für ihn war dieses Radrennen eine Gelegenheit, um das Leben
und die Gesellschaft in einer verrückten Welt zu beleuchten.« -
Graham Davis gebührt das Verdienst, die »Elliptische Tretmühle«
erstmalig ins Englische übersetzt zu haben. Der Aufbau Verlag, so
teilte mir der Kollege aus Tokio mit, hat gegen eine Gebühr die
Genehmigung zur Publikation erteilt. Der in Ostdeutschland
gegründete Aufbau Verlag hat die Rechte an den deutschsprachigen
Werken von Kisch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten. Der
Verlag hatte seinen Sitz ursprünglich in der Nähe des
Gendarmenmarktes in der einstigen DDR-Hauptstadt und residiert seit
einigen Jahren in einem neuen Gebäude am Moritzplatz in Berlin. Der
englische Text von Graham Davis ist nun für eine geringe Gebühr von
weniger als einem Euro bei
Amazon verfügbar.
Dezember 2014
Ein Held in Australien
Special Broadcasting Service (SBS) Radio Melbourne, das nationale
öffentlich-rechtliche, multikulturelle Radio von Australien mit
Programmen in 74 Spra-
chen, hat den 80. Jahrestag der »Ankunft von Egon Erwin Kisch in
Australien« zum Anlaß für eine Sendung genommen. Mein Kollege
Christian Frölicher bat mich dazu um ein Interview und kommentierte
Kischs einmalige Art, seinen Fuß auf den Fünften Kontinent zu
setzen: »Eine absolut verrückte Geschichte, die mit einem Beinbruch
(buchstäblich) begann, und in einem Gerichtsfall vor dem High Court
ein glückliches Ende fand. In Australien ist er seitdem ein Held.«
Das dramatische Ereignis fand am 13. November 1934 statt. Kisch war
im Auftrag des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus mit Sitz in
Paris auf dem britischen Liner »Strathaird« zu den Antipoden
aufgebrochen, um als europäischer Delegierter am Gesamtaustralischen
Antikriegskongreß teilzu-
nehmen, der zum 9. und 10. November in die Stadthalle von Melbourne
einberufen worden war. Obwohl er ein britisches Visum für das
Common-
wealth-Land Australien besaß, wurde ihm die Einreise verweigert. In
dem Augenblick, da das Schiff in Port Phillipp, dem Hafen von
Melbourne ablegte, schwang sich Kisch über die Reling und sprang aus
einer Höhe von fünfeinhalb Metern auf den Kai - und brach sich das
rechte Bein zwei Mal. Es folgten dramatische Ereignisse. Kisch hat
sie, zusammen mit Reportagen über Alltag und Geschichte der
Antipoden, in dem - noch immer lesenswerten - Buch »Landung in
Australien« beschrieben.- Die Berliner Tageszeitung neues
deutschland hat zum Jahrestag des Sprunges einen Artikel
veröffentlicht. Darin heißt es zur Ehre von Kisch: »Der
Antikriegskongreß in Melbourne hat zwar ohne ihn stattgefunden, die
Antikriegsbewegung aber einen Triumph erfahren.«
November 2014
FOLIO zum Thema: »Beruf: Reporter«
Die Neue Zürcher Zeitung hat die Oktoberausgabe 2014 ihres
monatlich erscheinenden Magazins FOLIO unter das Motto gestellt:
»Beruf: Reporter - Like+Comment+Share«. Das Editorial verfaßten
gemeinsam NZZ-Folio Chef-
redakteur Daniel Weber und der Chefredakteur von »Reportagen«,
Daniel Puntas Bernet. Ihr Thema: »Einsame Wölfe - Der ›rasende
Reporter‹ ist eine Ikone aus dem letzten Jahrhundert. Hat ihn die
Zukunft überholt?« Da grüßt dann natürlich auch Egon Erwin Kisch die
Leser - »der berühmteste Reporter deutscher Sprache«, wie in der
Bildunterschrift konstatiert wird. Man sieht ihn, wie er sich im
März 1929 in Chicago, auf der Südseite des Chicago River, an das
Natursteingeländer der Brücke lehnt. Kisch bereiste von Ende Oktober
1928 bis Mitte April 1929 die USA für das Reportagebuch: Egon Erwin
Kisch erlaubt sich darzubieten: Paradies Amerika. (Das im FOLIO
abgebildete Foto
ist auch auf dieser Website als Titel der Rubrik »Biografie /
Bibliografie« zu sehen.) Ein zweites Mal wird Kisch im NZZ-Magazin
im traditionellen »Binders Vexierbild« gezeigt: »Wo ist Kischs
Feder?«, lautet die Suchfrage. Der Mann aus Prag ist hier in Berlin
postiert, der Stadt, in der er die längste Zeit außerhalb seiner
Heimatstadt gelebt und gewirkt hat: Vor dem Bahnhof Friedrichstraße.
Es geht also darum, Kischs Füllfederhalter zu suchen. Es ist ein
Füller der Marke Waterman. Kisch hatte ihn sich Anfang 1936 in Paris
zu-
gelegt und damit bis zu seinem Lebensende geschrieben.
Oktober 2014
Die elliptische Tretmühle
Dieser Tage bekam ich einen rasanten Dokumentarfilm zu sehen.
Titel: »Sechs Tage - Sechs Nächte. 100 Jahre Berliner
Sechs-Tage-Rennen«. Der Film - Buch und Regie Heinz Brinkmann - ist
im Jubiläumsjahr 2009 im RBB gesendet worden. Natürlich ist dieses
Thema nicht zu behandeln ohne Egon Erwin Kisch. Seine Reportage »Die
elliptische Tretmühle« ist der Klassiker unter allen Texten über die
Matadoren auf den ovalen Holzplanken: »Sechs Tage, sechs Nächte lang
streben sie vorwärts, aber sie sind immer auf demselben Fleck...«
Auch Brinkmann, der Mann aus Heringsdorf an der Ostseeküste, wo ich
ihn kennen gelernt habe, zitiert selbstverständlich Kisch. Sein Film
hat mich daran erinnert, dass ich kurz zuvor von einem in Tokio
lebenden britischen Jour-
nalisten eine E-Mail erhalten habe, die sich ebenfalls ums
Sechstagerennen und Kischs »Elliptische Tretmühle« drehte. Der
Kollege schrieb für ein britisches Blatt einen Beitrag über das
berühmte Berliner Radrennen und fragte an, ob ich ihm mitteilen
könne, wann Kisch für »Die elliptische Tretmühle« recherchiert habe
und wo die Reportage erstmals veröffentlicht worden sei. Ich konnte
ihm helfen: 1923 war Kisch dabei, zur 10. Auflage des Rennens; und
erschienen ist die Reportage erstmals in dem Buch Der rasende
Reporter im Verlag von Erich Reiss, Berlin, 1925 - es war jedoch
schon Ende 1924 zum Weihnachtsgeschäft im Buchhandel. Ich wiederum
habe aus Brinkmanns Film auch Neues erfahren: Nämlich, dass 1923 der
legendäre »Sportpalastwalzer« Premiere hatte. Als »Wiener
Praterleben« ist er 1892 von Siegfried Translateur komponiert
worden. Der Mann in Tokio hatte mir übrigens noch mitgeteilt, dass
er Kischs Text erstmals in dem Buch Aus dem Café Größenwahn gelesen
habe, dass 2013 im Verlag Klaus Wagenbach erschienen ist. So rollt,
wie man sieht, die »Elliptische Tretmühle« rund um die Welt.
Juni 2014
Schriftsteller in Ostende 1936
»Ostende - 1936, Sommer der Freundschaft« - So lautet der Titel
eines Buches, der in dem belgischen Modebadeort, der »Königin der
Strandbäder«, wie die Prospekte jener Zeit preisten, angesiedelt
ist. In Ostende hatten sich damals zeitweilig Schriftsteller
niedergelassen, die aus dem Deutschland der Faschisten flüchten
mußten. In Ostende, im Café Flore, haben sie sich in jenem Sommer
regelmäßig getroffen, um über die Lage in Deutschland zu reden, über
ihr literarisches Schaffen, das Leben in dieser Zeit schlechthin:
Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun, Ernst Toller, Hermann
Kesten, Arthur Koestler... - und auch Egon Erwin Kisch mit Gefährtin
Gisl. Die Beiden waren von ihrem Exilwohnort Versailles ans Meer
gekommen und hatten sich für einige Wochen im nahe gelegenen
Breedene einquartiert. Kisch brauchte ein Refugium für die Arbeit an
der »Landung in Australien«. Vom Leben dieser Literaten, ihren
Leiden und Hoffnungen, ihren Kämpfen, mit der Emigration fertig zu
werden und von ihren Beziehungen zueinander - davon handelt »Ostende
- 1936, Sommer einer Freundschaft«. Man erfährt zum Beispiel, wie
Irmgard Keun, die erst kürzlich Deutschland verlassen hatte, für ein
Paar Tage zu den Kischs fährt, zwanzig Minuten mit der Straßenbahn
von Ostende nach Breedene, und dem berühmten Kollegen die ersten
dreißig Seiten eines neuen Buches zeigt. »Und Kisch ist begeistert,
ist so begeistert, dass er gleich nach oben in sein Zimmer
verschwindet.« Als er nach einer halben Stunde zurück kommt, hat er
mehrere Briefe geschrieben. Einen an Walter Landauer, den Lektor
beim Emigrantenverlag Allert de Lange in Amsterdam »um ihm zu dieser
tollen Autorin zu gratulieren, einen an seinen amerikanischen
Verleger, um ihm eine phantastische deutsche Autorin und ihr neues
Buch zu empfehlen, einen an Freunde in Paris, um sie zu bitten,
Irmgard Keun für einen Vortrag über die gegenwärtige Lage in
Deutschland einzuladen.« Autor dieses wunderbaren Ostende-Buches ist
Volker Weidemann, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung. Es ist sehr einfühlsam geschrieben, in einem
gediegenen Stil. Verständnisvoll. Ja, mit Seele, möchte man sagen,
schildert er Haltungen und Handlungen seiner Protagonisten.
Geschrieben ohne jegliche Klugscheißerei aus heutiger Sicht. Für
Kisch war dieser Sommer 1936 in Breedene übrigens sehr produktiv.
Der Mutter schrieb er am 27. August, kurz vor seiner Rückreise nach
Versailles, dass er mit seinem Buch gut voran gekommen sei, obwohl
die Arbeit genau ein Jahr länger dauere, »als ich kalkuliert habe,
aber ich hoffe, dass es ein sehr gutes Buch wird, mein bestes.«
Außerdem habe er sich »sehr erholt, bin schwarz wie ein Neger.«
Volker Wiedermanns Buch ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und
für 17,99 € zu haben.
März 2014
Jahrhundertautoren gegen Krieg
»Es muß einer den Frieden beginnen - Jahrhundertautoren gegen den
Krieg« Unter diesem Motto hat der Aufbau Verlag Berlin im Februar
eine Kassette mit vier Bänden herausgebracht. Als Blickfang auf der
schwarzen Kassette ein roter Punkt mit folgendem Text: »1914-2014 /
Die Geschichten des Ersten Weltkrieges«. Bei den Werken handelt es
sich vornehmlich um Romane, Erzählungen und Gedichte: Arnold Zweig
»Junge Frau von 1914« - Ludwig Renn »Krieg« - Ferner ein Band mit
Texten von folgenden fünfzehn Autoren: Bertha von Suttner, Johannes
R. Becher, Georg Trakl, Friedrich Wolf, Stefan Zweig, Ernst Glaeser,
Edlef Köppen, Rosa Luxemburg, Anna Seghers, Kurt Tucholsky, Hans
Fallada, Leonhard Frank, Vicky Baum, Erich Maria Remarque und Lion
Feuchtwanger. Der vierte Band gehört dem Jahrhundert-Journalisten
aus Prag mit seinem Kriegstagebuch »Schreib das auf, Kisch!« Von den
Werken aller anderen Autoren über das erste große Völkermorden und
gegen den Krieg unterscheidet sich Kisch dadurch, dass er absolut
authentisch ist. In dem Tagebuch berichtet der Korporal im 11. k. u.
k. Infanterieregiment von der serbischen Front, von der blutigen und
verlustreichen Schlacht an der Drina. Die Aufzeichnungen beginnen
mit dem 31. Juli 1914 und enden am 22. März 1915. Sie wurden unter
schwierigsten Verhältnissen gemacht. Oft noch im Schützengraben.
Unmittelbar nachdem Kugeln und Granaten ihr Unheil angerichtet
hatten. Als krachende Granateinschläge und das Pfeifen der Kugeln
abgelöst worden waren von den Schmerzensschreien der Verletzten -
»niemals aber später denn vierundzwanzig Stunden nach dem Erlebnis.«
Es ist ein außergewöhnliches Zeitzeugnis. Herausgegeben und mit
einem Nachwort versehen hat dieses eindrucksvolle literarische
Antikriegswerk Nele Holdack. Insgesamt 1376 Seiten zum Preis von
49,90 Euro. Der Einzelband ist für 15 € zu haben.
Februar 2014
Tod an der Drina
Um die Jahrhundert-Erinnerung an das erste große Völkermorden geht
es in einer kleinen tschechischen Publikation, die ich erhalten
habe. Die »Deciner Heimatblätter« gedachten der siebzig Söhne des
Grenzortes Dolni Poustevna (Niedereinsiedel) - unweit des einstigen
Grenzüberganges nahe des einst blühenden Kunstblumenortes Sebnitz -
die für »Gott, Kaiser und Vaterland« gefallen sind. Unter der
Überschrift »Der Fabrikantensohn und Kisch« geht es in einem Beitrag
von René Senenko speziell um das Schicksal von Rudolf Rößler, dessen
Vater die im Orte befindliche »Erste Nordböhmische
Metallwarenfabrik« besessen hatte. Der damals 24jährige Rößler jun.
gehörte zu den Ersten, die bereits im Juli 1914 eingezogen worden
waren und mit dem, im südböhmischen Pisek stationierten, k.u.k.
Infanterieregiment Nr. 11 sofort an die serbische Front kamen. Zu
diesem Regiment gehörte auch der Korporal Kisch. Auf dem Wege an die
Front freundeten sich die Beiden an. Ihre Freundschaft nahm jedoch
bei der blutigen Schlacht an der Drina ein tragisches Ende. Dass die
»Deciner Heimatblätter« ein Jahrhundert danach ausführlich daran
erinnern konnten - das ist Egon Erwin Kisch zu verdanken. Er hat vom
ersten bis zum letzten Tag seines Einsatzes an der serbischen Front
Tagebuch geführt. Freitag, den 2. Oktober 1914, notierte er, dass
Rößler zwei Tage zuvor mit seiner Kompanie »in die Schwarmlinie
beordert« worden war. »Rößler hatte sich von mir verabschiedet, ‚als
ob es in den Tod gehe' und mir die Adresse seines Vaters gegeben«.
Inzwischen wußte Kisch, dass sein Kamerad einem Bauchschuß erlegen
war. Dem Tagebuch vertraute er am 3. Oktober an, dass er »seit
gestern unter einer besonderen Depression leide«, weil ihn die
Todesnachricht an Rößlers Vater schwer beschäftige, »der Gedanke an
die Wirkung, die mein Brief auf die des einzigen Sohnes beraubten
Eltern ausüben müsse«. Rudolf Rößler ist - auch das teilte Kisch dem
Vater umgehend mit - auf einem speziell angelegten Soldatenfriedhof
bei Bosanska Raca beigesetzt worden. Kischs Kriegstagebuch von der
serbischen Front ist erstmals im Jahre 1922 unter dem Titel »Soldat
im Prager Korps« veröffentlicht worden. In den vom Aufbau-Verlag
Berlin herausgegebenen Gesammelten Werken ist es im Band I (1.
Auflage 1960) bzw. Band II (5. Auflage 1992) enthalten.
Januar 2014
Das letzte Buch
Ende des vergangenen Jahres ist mein Freund Klaus gestorben. Wir
kannten uns seit Jahrzehnten. Er war ein außergewöhnlich
liebenswürdiger, feinsinniger und gebildeter Mensch. Gespräche mit
ihm waren stets erfreulich und belebend. Als wir - Maxi und ich -
ihn und seine Frau Ingrid kurz vor seinem Tode besuchten, hatten wir
für den Freund feiner Literatur einen Band von Egon Erwin Kisch aus
der eleganten, in rotes Leinen gebundenen, Salto-Reihe des Wagenbach
Verlages mitgebracht: »Aus dem Cafè Größenwahn - Berliner
Reportagen«. Wenige Tage nach unserem Treffen erfuhren wir, wie sehr
ihn das Buch erfreut habe. Bei manchen Texten habe er so herzlich
gelacht, wie es von ihm lange nicht zu hören gewesen sei. Es war das
letzte Buch seines Lebens Nun ist die Trauerkarte zur Beerdigung
eingetroffen: Prof. Dr. Klaus Heuer 26. Juni 1930 - 26. Dezember
2013. Als Motto für den Abschied hat die Familie folgenden Text
gewählt: »Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts
ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die
Sachlichkeit. Und nichts phantastischeres gibt es in der Welt als
die Zeit, in der man lebt.« Diese Erkenntnis stammt aus der Feder
von Egon Erwin Kisch, aus dem Vorwort des Ende 1924 in Berlin
erschienenen Buches, dessen Titel zu seinen berühmten Beinamen
wurde: »Der rasende Reporter«.
Januar 2014
Drei Briefe im November
An einem Tag im November habe ich drei Briefe erhalten. Alle
drei größer und dicker als ein 58 Cent Brief. Und alle drei haben
mir Neuigkeiten über Kisch gebracht. Der Verleger und Antiquar Frank
Albrecht aus der Mozartstraße in Schrießheim hat mir ein gewünschtes
Exemplar des Magazins »Das TageBuch« geschickt. In einem als
Schmuckrand gestalteten Teil des Impressums erfährt der Leser
bereits auf dem Titel: »Jahrgang 7 Heft 22 + Herausgeber Stefan
Grossmann und Leopold Schwarzschild + Erscheint Sonnabends«. Ferner
wird auf dem Deckblatt mitgeteilt, dass der Einzelverkaufspreis 60
Pfennig beträgt und das Heft in Berlin am 29. Mai 1926 erschienen
ist. Den Rest nimmt die Inhaltsangabe in Anspruch. Die Versammlung
einzigartiger Autoren, - die in dem schmalen Heft - Seite 737 bis
770 - geboten wird, ist faszinierend: Artur Schnitzler, Stefan
Großmann, Hans Sahl, Alfred Polgar, Franz Hessel. Und natürlich Egon
Erwin Kisch. Er ist mit dem Beitrag vertreten »Warschau am Tage nach
dem Staatsstreich«. Mit dem ersten Zug war er in Warschau
eingetroffen, »seit fünf Tagen der erste, der aus Rußland nach Polen
fährt, wo seit fünf Tagen Revolution ist. Revolution?« Das
Fragezeichen hatte seinen Grund! Es war nämlich ein Putsch. Der
Putschist, der in fünf Tagen die Regierungstruppen niederkartätscht
hatte, hieß Jozef Pilsudski (1867-1935). Er ergriff die Macht,
regierte als Diktator mit Mitteln, die Zeitgenossen wie Historiker
als faschistisch bezeichneten. Der Zufall wollte es, dass nun just am
11. November, da man hierzulande Martinsgänse verspeist, die Polen
ihren Nationalfeiertag begangen haben. Berichte über Vorgänge zu
diesem Anlaß liefern ein beunruhigendes Bild über den politischen
polnischen Alltag: Unverschämte Reden des Parteichefs Jaroslaw
Kaczynski und seiner aufrührerischen Anhänger. Nach dem
militärischen Zeremoniell auf dem Warschauer Pilsudskiplatz gab es
einen Marsch vorbei an Denkmälern »verdienstvoller Polen«, wo Kränze
niedergelegt wurden - auch am Pilsudski-Denkmal. Kischs Bericht über
den Mai-Putsch von 1926 liefert interessante Beobachtungen und läßt
ahnen, dass Ursachen für heutige politische Probleme in Polen auch
weit zurück liegen könnten. Zu finden ist der »TageBuch«-Beitrag im
Band III der vom Aufbau Verlag heraus gegebenen Gesammelten Werke. -
Der zweite Brief enthielt die DVD »Marktplatz der Sensationen« mit
einer an Originalschauplätzen in Prag gedrehten Serie von Kurzfilmen
»rund um Egon Erwin Kisch« - eine »wahre Huldigung an diesen Meister
der Sensationsgeschichten«, wie es heißt. Die fürs Fernsehen
gedrehten Filme - die nun wieder für 14,99 Euro auf dem Markt sind -
wurden bereits 1985 im Auftrage des SWF (heute SWR) produziert. Als
Rasender Reporter agiert Josef Laufer. In weiteren Rollen: Suzanne
von Borsody, Rosemarie Fendel und Wolfried Lier. Drehbuch Kamil Pixa
und Jaroslav Vokrál, Regie Martin Hollý. Kischs autobiografisches
Buch »Marktplatz der Sensationen« wird allerdings als »Roman«
verkauft. Da hätte sich Kisch wohl sehr gewundert, wenn er zu
Lebzeiten von dieser Einordnung gehört hätte. - Der dritte Brief kam
von meinem Freund Dr. Edmund Schulz aus Leipzig, dem exzellentesten
Kenner in Sachen des einstmals in Deutschland viel gelesenen
amerikanischen Schriftstellers Upton Sinclair - bekanntlich ein
guter Freund von Kisch.
Schulz hat seine Bibliothek gelichtet und mir ein Buch vermacht:
»Die Rache der Kabunauri« von der polnischen Schriftstellerin Helena
Bobinska; erschienen 1931 in der Universum Bücherei für Alle, Berlin
W 8. Der Grund für die Schenkung: Das Buch hat ein Nachwort »Was
Egon Erwin Kisch zu der Geschichte sagt«. Als ich es gelesen hatte,
klingelte die Erinnerung. Und tatsächlich: Der Text befindet sich im
Band IX der Gesammelten Werke. Wie mit manchen Beiträgen, die in den
beiden Bänden »Mein Leben für die Zeitung« enthalten sind, konnte
ich damit jedoch nichts rechtes anfangen. Es gibt keine Quelle. Nun
weiß ich Bescheid: Es handelt sich um eines der vielen Vor- und
Nachworte aus Kischs Feder. In diesem Fall zu einem Roman, der die
Geschichte eines kleinen Jungen aus dem Volke der Chewsuren im
Kaukasus erzählt und in den ersten Jahren nach der Revolution mit
den tiefgreifenden Umwälzungen spielt. - Neuigkeiten für mich. Und
vielleicht auch für andere Kisch-Freunde.
November 2013
Berlin-Kolleg erinnert an Emigranten
Das Berlin-Kolleg in der Turmstraße im Stadtteil Moabit
präsentiert vom 7. November bis 5. Dezember im Rahmen des vom Land
Berlin initiierten Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« eine
literarische Ausstellung mit dem Titel »Grenzüberschreitungen -
Künstlerische Emigration aus Deutschland 1933 - 1945«.
Persönlichkeiten verschiedener Berufe - Schriftsteller,
Journalisten, Architekten Musiker, bildende Künstler, Filmleute,
aber auch Fluchthelfer -,
die mit ihren Werken das Leben in Deutschland eindrucksvoll
bereichert haben, werden in gut bebilderten Kurzbiographien
vorgestellt. In dieser Galerie der vertriebenen Prominenten haben
sich Sabrina Mertens und Joe Potter dem Jahrhundertjournalisten Egon
Erwin Kisch gewidmet. In ihrem Text würdigen sie unter anderem
Kischs unermüdlichen antifaschistischen Kampf, den er auch in der
Emigration entschieden fortgesetzt hat. »Über alle Ländergrenzen
hinweg schreibt der rasende Reporter gegen die Ungerechtigkeit an
und macht sich damit zum Feind der diktatorischen Regimes Europas -
Gefahren für die eigene Sicherheit dabei außer Acht lassend«, heißt
es. Um das Kisch-Bild für den Betrachter der Ausstellung lebensnah
zu gestalten, sind Stimmen von Zeitgenossen zitiert. Unter anderem
Anna Seghers (1900 - 1983), in deren Nachruf auf ihren langjährigen
Freund Egonek es heißt: »Es ist uns zumute,
als hättest Du nur einen von Deinen vielen Tricks angewendet, um
Dich irgendwo über eine verbotene Grenze zu schleichen, um später
eine umso seltsamere, umso wildere Reportage zu verfassen über das,
was Du gesehen hast.« Bei dieser Ausstellung handelt es sich um
Arbeiten »der Kollegiaten und Kollegiatinnen der drei Leistungskurse
Deutsch des Abschlußjahrgangs 2014« des Berlin-Kollegs, einer 1960
gegründeten Einrichtung des zweiten Bildungsweges, an dem Erwachsene
ihr Abitur absolvieren. November 2013
Das Café Brasilero in Montevideo
Im Café Brasilero in Montevideo, der Hauptstadt von Uruquay, hat
Hinnerk Berlekamp ein Interview mit Eduardo Galeano gemacht, das die
»Berliner Zeitung« in der Wochenendausgabe vom 24./25. August
veröffentlichte. Der in Montevideo geborene Schriftsteller begründet
einleitend die Wahl des aus dem Jahre 1877 stammenden Cafés als
Interviewort: »Von all den alten Kaffeehäusern Montevideos ist das
Café Brasilero das letzte, das überlebt hat. Diese Kaffeehäuser
waren meine Universität. Ich bin sechs Jahre in die Grundschule
gegangen, ein Jahr zur Oberschule – das war's. Den Rest lernte ich
an den Kaffeehaustischen, indem ich die Ohren aufsperrte und den
großen anonymen Erzählern lauschte...« Der Interviewer knüpft den
Faden weiter: »Das Kaffeehaus als Ort der Literatur hat eine lange
Tradition. Von Egon Erwin Kisch heißt es, er habe die Pointen seiner
Reportagen stets vorab in den Prager Cafés im Freundeskreis zum
Besten gegeben, in drei oder vier Varianten, und diejenige, die den
meisten Erfolg bei seinen Zuhörern hatte, wurde dann gedruckt.«
Darauf Eduardo Galeano: »Ich kenne diese Situation: Manchmal hat man
drei oder vier Versionen, und man muß alle bis auf eine opfern. Wenn
das allzu schwer wird, biete ich manchmal auch zwei nacheinander an,
aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Der Leser soll doch spüren,
dass es verschiedene Positionen gibt, von denen aus man die Dinge
betrachten kann. Dass es nie eine einzige Wahrheit gibt. Dass die
eine Wahrheit immer aus vielen Wahrheiten besteht – und zugleich aus
vielen Lügen.«
August 2013
Im Maschinenraum der »Vaterland«
Vom Rhein ist ein Schiffsbericht eingetroffen: »Egon Erwin Kisch
auf der »Vaterland‘« .lautet der Titel des Buches. Im Mai/Juni 1914
hat Kisch als geladener Pressevertreter an der Jungfernfahrt des
Hapag-Luxusdampers »Vaterland« teilgenommen. Mit diesem größten
Schiff der Welt jener Zeit wurde der Linienverkehr zwischen
Hamburg/Cuxhaven und New Nork eröffnet. Am 14. Mai 1914 ist Kisch an
Bord gegangen, tags darauf mußten die Pressevertreter in
Southhampton, der ersten Zwischenstation, das Schiff wieder
verlassen. Auf der Rückfahrt hat die »Vaterland« am 1. Juni in
Plymouth halt gemacht und Kisch – der sich inzwischen zu Recherchen
in London aufgehalten hatte – konnte wieder an Bord gehen. Am
nächsten Tag ist die »Vaterland« dann im Heimathafen
Hamburg/Cuxhaven vor Anker gegangen. Für seine Reportage hat sich
Kisch nicht zu den Reisenden der Oberklasse begeben, sondern er ist
hinab gestiegen in die Maschinen- und Kesselanlage des 54.282
Bruttoregistertonnen-Schiffes zu den Heizern und Trimmern. Am 12.
Juni 1914 ist die Reportage in der Prager Tageszeitung »Bohemia«
erschienen unter der Überschrift »Bei den Heizern des
Riesendampfers«. 1924 hat Kisch sie dann in den Reportageband »Der
rasende Reporter« aufgenommen – die Pointe allerdings überarbeitet
hinsichtlich der Stimmung unter den Heizern in der »Teufelsküche«.
Ulrike Robek vom Niederrhein hat ihrem Buch den Untertitel gegeben:
»Ein Versuch zum Verständnis der Heizer-Reportage«. Sie hat in ihrer
streng wissenschaftlichen Arbeit Kischs stimmungsvollen Text
analysiert und mit den ihr heute zugänglichen technischen Angaben
der »Vaterland« bis ins kleinste Detail auf Exaktheit verglichen,
mit technischen Karten und Fotos sowie Informationen über
Arbeitskämpfe und die Kraft der Gewerkschaften jener Zeit versehen.
Eingehend widmet sie sich der unterschiedlichen sozialen und
politischen Lage unter den Arbeitern zur Zeit der beiden
Veröffentlichungstermine, weil die entsprechenden Tatsachen
ausschlaggebend waren für die unterschiedlichen Schlußpassagen der
beiden Fassungen. Beim ATHENA-Verlag, Oberhausen, ist Ulrike Robeks
erstklassig recherchiertes Werk für 19,50 Euro zu haben.
August 2013
Kisch im Ruhrgebiet
Im Sommerloch sind zwei Bücher aus Essen eingetroffen. Die
Titel: »Egon Erwin Kisch beim Bochumer Verein – Ein Versuch zum
‚Wesen des Reporters‘« sowie »Egon Erwin Kisch in Essen – Eine
‚Fotografie‘ der Kruppwerke und des RWE«. Autorin dieser
wissenschaftlichen Arbeiten ist Ulrike Robeck, promoviert an der
Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum.
Gegenstand ihrer Arbeit sind Kischs Reportagen »Stahlwerk Bochum,
vom Hochofen aus gesehen« sowie im zweiten Buch »Das Nest der
Kanonenkönige: Essen« und »Generalversammlung der Schwerindustrie«.
Kisch weilte im Herbst 1920 und Ende des Jahres 1922 im Ruhrgebiet
und aus dieser Zeit stammen die Texte. Sie befinden sich in dem Ende
1924 veröffentlichten Buch »Der rasende Reporter«, mit dem Kisch
berühmt geworden ist und sich auf dem deutschen Büchermarkt
durchgesetzt hat. Nun sind sie, rund neunzig Jahre danach und
gewissermaßen am Ort des Geschehens, erneut veröffentlicht worden.
Ulrike Robek stellt zunächst einen Vergleich »des Reporters mit
einem Fotografen« an. Kischs Reportage über das »Stahlwerk Bochum«
ist mit 25 weitgehend zeitgenössischen Fotos illustriert.
Anschließend beschäftigt sich die Autorin, bescheiden als »Nachwort«
deklariert, ausführlich mit der »Übereinstimmung von Reportage und
Werksfotografie?« In diesem Zusammenhang analysiert sie Kischs Text
vom »Wesen des Reporters« aus dem Jahre 1918, der Theorie von der
»Bussole«, wobei auch Kischs »logische Phantasie« unerläßlich ist,
sie betrachtet, wie Kisch Tatsachen und Sachlage gesehen und
verarbeitet hat. Im zweiten Buch werden die Reportagen über das
»Nest der Kanonenkönige« und die »Generalversammlung« bis ins
kleinste Detail seziert: Was hat Kisch während seines kurzen
Aufenthaltes gesehen, was hat er offenbar übersehen, worin bestehen
die Stärken dieses Textes über den modernen Kapitalismus, wo hat
Kisch geirrt. Es handelt sich in beiden Büchern um außerordentlich
gründliche Arbeiten, zumindest für jeden jungen Journalisten, der
etwas auf sich und seine Feder hält, unerläßlich. Beim Klartext
Verlag in Essen sind die beiden Titel zum Preis von je 19,95 Euro zu
haben. Verlegt wurden sie bereits 2010 bzw. 2011.
August 2013
Büchermarkt
In der Sendung »Büchermarkt« hat der Deutschlandfunk am 31. Juli das
Buch »Aus dem Café Größenwahn – Berliner Reportagen « aus dem
Wagenbach-
verlag vorgestellt. Es enthält Texte, die Egon Erwin Kisch in den
Jahren 1914 bis 1933 geschrieben hat: »Berlin in den Zwanzigern: Ein
wildes Durchein-
ander, in dem nicht nur der politische Lärm wächst. Erst dank des
‚rasenden Reporters‘ mit dem gespitzten Ohr und dem noch spitzeren
Bleistift erklingt die Sinfonie der Großstadt.« Das Buch ist im März
des Jahres erschienen. Am 31. März jährte sich Kischs Todestag zum
65. Mal.
Juli 2013
Kisch über Spionage der Amis
Unter der Überschrift »Schon Kisch wußte: Die Amis spionieren«
veröffent-
lichte neues deutschland am 17. Juli folgenden Beitrag: »Die
Kanzlerin hat erklärt, sie habe von der US-amerikanischen Spionage
in Deutschland erst durch die Snowden-Enthüllungen erfahren. Da
möchte man ihr doch mit Hilfe einer weit verbreiteten Publikationen
etwas nachhelfen. Bild hat jüngst in Zusammenarbeit mit der Aktion
›Vorsicht Buch!‹ den 80. Jahrestag der Bücherverbrennung zum Anlaß
genommen, eine ‚Bibliothek der verbotenen Bücher‘ mit einer ‚Auswahl
der größten Literaturklassiker‘ herauszugeben. Unter den zehn
Autoren befindet sich Egon Erwin Kisch (1885-1948) mit seinem
‚Paradies Amerika‘. In den 41 Reportagen, Erlebnisberichten, Inter-
views und anderen Texten hat der Journalist sich auch der
›Kriminalistik in Washington‹ gewidmet. Darin befaßt er sich mit dem
›Big Game‹, der Überwachung und Bespitzelung: ‘Das Ministerium des
Äußeren ist einer von den Bankhaltern des Großen Spiels und opfert
dafür jährlich den Betrag von hunderttausend Dollar, die es
niemandem verrechnet. Aber wir wollen hoffen, dass dieser Fond in
wichtigen Fällen erhöht und überschritten wird, denn sein Zweck ist
wichtig.‘ Und dann zitiert der ‚rasende Reporter‘ ein Dokument, das
ihm damals in Washington offiziell zur Verfügung gestellt worden
ist: ›The contingent fund is used for the purpose of enabling the
Department of State to keep a close watch on affairs in other
nations, in order that the United States may at all times be
apprised of any foreign develeopments which might affect its
interests.‹ Das bedeutet in aller Offenheit: Das Außenministerium
unterhält einen Sonderfond mit dem Zweck, alle Staaten
auszuspionieren, damit die USA zu jeder Zeit über jegliche
ausländische Entwicklung informiert sind, die ihre Interessen
berühren könnten. Kischs Kommentar dazu: ›Da von den Einnahmen der
Vereinigten Staaten mehr als ein Drittel in Armee und Flotte
investiert werden, kann man sich ausmalen, was hier für Spionage –
Verzeihung, für Evidenzhaltung von Nachrichten ausgegeben wird.‹ Das
war vor mehr als achtzig Jahren. Das Buch ‚Egon Erwin Kisch erlaubt
sich darzubieten: Paradies Amerika‘ ist im Jahre 1930 im Verlag
Erich Reiss, Berlin, erschienen. Mindestens seitdem ist also
öffentlich bekannt, dass es zur Staatsdoktrin der USA gehört,
überall in der Welt zu spionieren. Und davon
will Frau Merkel nichts gewußt haben.«
Juli 2013
Kisch am Lustgarten
Am Berliner Lustgarten wird im Rahmen der Aktion »Berliner
Themenjahr 2013 OPEN AIR« an Menschen erinnert, die »nach dem
Machtantritt der National-
sozialisten 1933, spätestens aber nach den
Novemberpogromen des Jahres 1938 verdrängt und vertrieben, etliche
deportiert und ermordet« worden sind. Unter den mehr als zweihundert
Porträts und Biografien von Wissenschaftlern, Künstlern aller
Genres, Politikern, Schriftstellern, Journalisten sowie
Persönlichkeiten anderer Berufe, die auf Litfaßsäulen ähnlichen
Aufstellern vorgestellt werden, befindet sich auch Kisch. Auf dem
dazugehörigen Text wird mitgeteilt, dass der jüdische Kommunist
wegen seiner tschechoslowa-
kischen Staatsangehörigkeit unmittelbar
nach dem Reichstagsbrand »abge-
schoben« worden sei. Dazu muß
folgendes ergänzt werden: Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand,
nämlich am 28. Februar 1933, früh um fünf Uhr, wurde dem »rasenden
Reporter« in seinem Untermieter-Quartier in der Motzstraße am Prager
Platz von zwei Kriminalbeamten mit gezogenen Pistolen verkündet:
»Herr Kisch, wir haben Befehl, sie ins Polizeipräsidium abzuführen.«
In dem mit dem Datum vom 28. Februar versehenen Haftbefehl heißt es,
wegen »dringen-
den Verdachtes der Teilnahme am Hochverrat«. In der
Nacht vom 1. zum 2. März wurde Kisch dann in die Festung Spandau
transportiert. Erst aufgrund energischer Proteste aus Prag wurde er
- körperlich unversehrt, im Gegensatz zu vielen seiner gefolterten
und halbtot geschlagenen Mithäftlinge - am 11. März unter Bewachung
am Grenzort Pomokly gegen Quittung den tschecho-
slowakischen
Grenzbehörden übergeben. Kischs Bericht »In den Kasematten von Spandau«, der bald nach seiner Ankunft in Prag veröffentlicht worden
ist, vermittelt einen Eindruck von den Verbrechen der Nazis nach dem
Reichstags-
brand. Als einer der ersten Augenzeugenberichte erregte er
internationale Aufmerksamkeit.
Juni 2013
Verbotene Bücher
Zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung hat Bild in
Zusammenarbeit mit der Kampagne der deutschen Buchbranche »Vorsicht
Buch!« eine zehnbändige Sonderedition mit Meisterwerken
deutschsprachiger Autoren, deren Bücher am 10. Mai 1933 verbrannt
worden sind, herausgegeben: Brecht, Feuchtwanger, Kästner, Heinrich
Mann, Meyrink, Remarque, Joseph Roth, Tucholsky, Stefan Zweig - und
Kisch mit dem Titel »Egon Erwin Kisch beehrt sich darzubieten:
Paradies Amerika«. Das Buch hat einen schwarzen Einband sowie
gleichfarbigen Schutzumschlag, der dominiert wird von dem rot
gedruckten Wort »Verboten!« Der vordere und hintere Vorsatz zeigen
ein Foto von der Brandnacht, versehen mit dem Text: »'Wider den
undeutschen Geist' - Unter diesem Motto verbrannten die
Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 in ganz Deutschland - wie hier
auf dem Opernplatz in Berlin - auf großen Scheiterhaufen unzählige
Bücher verfemter Autoren von Brecht bis Einstein.« Bei der
Zusammenstellung der Sonderedition habe man sich für Kisch
entschieden, so heißt es, »weil er Jude war, Kommunist und
Kriegsgegner, weil er der beste, frechste, skandalöseste und
investigativste Journalist seiner Zeit war.« Der Einzelband ist für
9,99 Euro zu haben. Die Kassette mit allen zehn Bänden kostet 75,00
Euro. Kischs Amerika-Buch ist zuerst im Erich Reiss Verlag, Berlin,
erschienen, versehen mit dem Erscheinungsjahr 1930. Es war jedoch
bereits Ende 1929 auf dem Buchmarkt. Kisch war am 31. Oktober 1928
von Bord des britischen Dampfers »Olympic« in New York an Land
gegangen. Am 13. April 1929 hat er auf der »Homeric« die Rückreise
nach Europa angetreten. Unverzüglich suchte er ein Refugium, um in
Ruhe möglichst schnell sein Buch schreiben zu können: 41 Reportagen,
Skizzen, Porträts, Gespräche - deren Aktualität und Brillanz sich
bis auf den heutigen Tag gehalten haben. Seiner Freundin Jarmila
Haasová, die alle seine Bücher aus dem Deutschen ins Tschechische
übersetzt hat, schrieb Kisch am 24. Mai 1929 nach Prag: »...direkt
aus New York kommend, habe ich mich in den hintersten Winkel
verkrochen, in die Teufelsmühle bei Kynsperk an der Ohre! Ich wollte
nach Böhmen, damit meine Mutter mich besuchen kann, ohne den
schrecklichen Rummel zu erleben, der in Berlin um mich gemacht
wurde.« Das im Wald gelegene Ausflugsrestaurant »Teufelsmühle«
unweit des Kurortes Frantiskovy Lázne und des Flusses Ohre (Eger)
existiert noch immer.
Juni 2013
Im Jüdischen Museum
Beim erneuten Besuch im Jüdischen Museum in Berlin bin ich daran
erinnert worden, dass dort ein besonders schönes, originelles
Porträt-Foto von Kisch zu sehen ist. Es zeigt den »rasenden
Reporter« als »rauchenden Reporter«: In der einen Hand die
Zigarette, in der anderen den Telefonhörer. Die Aufnahme stammt von
Lotte Jacobi (1896-1990). Sie war eine der berühmtesten
Fotografinnen ihrer Zeit, als »Porträtistin des vergangenen
Jahrhunderts« gewürdigt. Theater und Kunst waren ihr Metier.
Besonders geschätzt aber wurde sie wegen ihrer außergewöhnlichen
Porträts von Prominenten. Lotte Jacobi gehört zu den
Persönlichkeiten, die im Rahmen der Aktion »Berliner Themenjahr 2913
OPEN AIR« am Lustgarten präsentiert werden.
Juni 2013
Berliner Reportagen
»Aus dem Café Größenwahn - Berliner Reportagen« – Unter diesem Titel
hat der Verlag Klaus Wagenbach Berlin im März ein Buch von Egon
Erwin Kisch herausgebracht. Es enthält 24 Beiträge unterschiedlicher
journalistischer Genres, geschrieben zwischen 1914 und 1933. Im
Sommer 1913 war Kisch erstmalig mit dem Ziel nach Berlin gekommen,
um sich hier eine berufliche Existenz aufzubauen. Das wurde jedoch
durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zunichte gemacht. Kisch
mußte als Korporal der k. u. k. österreichisch-ungarischen Armee an
die serbische Front. Das zweite Mal kam er im November 1921 aus Prag
nach Berlin. Und wieder endete sein Aufenthalt zwangsweise. Nachdem
der Kommunist Kisch von den Nazis am Morgen des 28. Februar 1933,
nach dem Reichstagsbrand, verhaftet worden war, mußte man ihn jedoch
aufgrund offizieller Proteste aus Prag am 11. März freilassen. Kisch
war tschechoslowakischer Staatsbürger und wurde unter
Polizeibewachung an die Grenze seines Heimatlandes abgeschoben. Das
Buch ist in der Reihe Wagenbach SALTO erschienen, hat 140 Seiten und
kostet 15,90 Euro.
März 2013
Kisch im Deutschlandradio Kultur
Deutschland Radio Kultur hat den Monat März – am 31. des Monats
jährt sich Kischs Todestag zum 65. Mal – zum Anlaß genommen, dem
rasenden Reporter längere Sendezeiten zu widmen. Am
Sonntagvormittag, dem 10. März, wurde ein brillanter einstündiger
Beitrag über Leben und Werk des Mannes aus Prag ausgestrahlt. Es
handelte sich um die Wiederholung einer Sendung des Journalisten und
Schriftstellers Richard Christ zum 100. Geburtstag von Kisch am 29.
April 1985 für den Rundfunk der DDR. Und am 20. März wurde das
Feature »Don Kischote oder...« aus dem Jahre 1998, gesendet zum 60.
Todestag von Kisch, wiederholt. Es handelte sich dabei um eine
Gemeinschaftsproduktion mehrerer Sender, unter anderem des ORF. In
diesem Beitrag kamen die Grand Dame der Prager deutschen Literatur
Lenka Reinerová (1916-2008) und der gebürtige Österreicher Max Bair
(1917-2000) zu Wort. Lenka Reinerová hatte Kisch 1937 in Prag in der
Redaktion der Arbeiter-Illustrierte Zeitung (AIZ) kennen gelernt,
war wie er in der Emigration in Frankreich und Mexiko. Max Bair aus
Tirol ist der Held in Kischs Spanienrepor-
tage »Die drei Kühe«. Kisch
hatte die Absicht, den Tiroler Bauernjungen zu adoptieren. Das ist
jedoch an Gesetzen gescheitert.
März 2013
Erstlingswerke deutscher Autoren
Im Leipziger Verlag Faber & Faber ist ein einzigartiges
literarisches Lexikon erschienen: »Bühne auf! Die Erstlingswerke
deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts. Ein bebildertes Lexikon.«
Herausgeber sind Elmar Faber und Carsten Wurm. Vorgestellt wird in
dem Werk auch der Erstling des Jahrhundert-Journalisten Egon Erwin
Kisch »Vom Blütenzweig der Jugend«. Dieses Büchlein enthält
Gedichte, die Kisch zwischen dem 15. Und 18. Lebensjahr verfaßt hat
– und wovon er sich im fortgeschrittenen Alter distanzierte. Der
Gedichtband war 1905 im Verlag von E. Pierson in Dresden erschienen,
einem Druckkosten Verlag. Kischs Mutter hatte den Druck mit 200 Mark
finanziert. Um den Wert der Dichtkunst ihres Lieblingssohnes »Egonek«
zu erhöhen, erhöhte sie im Bekanntenkreis den Druckpreis auf 300
Mark. Kisch seinerseits gestand später, dass er gegenüber seinen
Freunden mit einem Honorar in Höhe von 300 Mark geprahlt habe.
»Bühne auf!« hat 526 Seiten und kostet 148 Euro.
Februar 2013
Neues Romanisches Café
Im Fünf-Sterne Luxus Hotel Waldorf Astoria am Zoofenster in Berlin –
Hardenbergstraße Ecke Kantstraße, mit Blick auf die Gedächtniskirche
– ist zu Beginn des Jahres 2013 ein neues Romanisches Café eröffnet
worden. An das historische Romanische Café erinnert eine
Deckenmalerei, Figuren im Kleide der 20er/30er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts darstellend. Das ursprüngliche Café befand sich bis zur
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg auf der anderen Seite der
Gedächtniskirche, Budapester-/Ecke Tauentzienstraße. Es war bis zur
faschistischen Machtübernahme Treffpunkt von Intellektuellen und
Künstlern aller Genres. Auch Egon Erwin hatte seinen Stammtisch.
Wenn er dort war »blitzte es nur so von Witzen, Knüttelversen und
Ideen«, berichtete seine Übersetzerin und Freundin Jarmila
Haasová-Necacová aus Prag. Und wenn er notgedrungen einmal müßig
sitzen mußte, »dann zeichnete er. Er zeichnete auf Zigaretten- und
Streichholzschachteln, er zeichnete auf Zeitungen, Zeitschriften,
auf jedes leere Stück Papier. Die Kellner nahmen es nicht übel, im
Gegenteil. Sie machten mit diesen Skizzen gute Geschäfte.«
Auf der
Speisekarte des neuen Romanischen Cafés steht natürlich auch der
berühmte Waldorf Salat mit Sellerie »aus den Gärten Nizzas«.
Januar 2013
Oberst Redl ist wieder da
Die Wiener Historiker Verena Moritz und Hans Leidinger (beide
Jahrgang 1969) haben eine spannende Spurensuche im, Spionagefall des
österreichischen Generastabschefs Oberst Redl unternommen und
bislang unbekanntes Archivmaterial ans Tageslicht geholt. »Oberst
Redl – Der Spionagefall – Der Skandal – Die Fakten« lautet der Titel
ihres Buches, das im Residenz Verlag erschienen ist. Es hat 332
Seiten und kostet 24,90 Euro. Kisch ist es gewesen, der im Mai 1911
den offiziellen Nebelschleier um diesen Skandal zerrissen hat: Mit
einer als Dementi formulierten Meldung, die am 25. Mai in der
Abendausgabe der Prager Tageszeitung
Bohemia veröffentlicht worden ist. Den kompletten Fall hat er dann
ausführlich geschildert in der Buch-Serie »Außenseiter der
Gesellschaft – Die Verbrechen der Gegenwart«, herausgegeben vom
Berliner Verlag die Schmiede im Jahre 1924.
Dezember 2012
»Die drei Kühe« aus Tirol
»Die drei Kühe«, Kischs Reportage aus dem Freiheitskampf der
spanischen Republik gegen den Faschismus, ist in Südtirol in der
Edition Raetia GmbH, Bozen, in einer Neuauflage erschienen. Die
»Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien« ist von dem Südtiroler
Joachim Gatterer herausgegeben und mit großer Sorgfalt kommentiert
worden. Gatterer widmet sich dabei u. a. folgender Aspekte: Kischs
Werdegang zum rasenden Reporter; dem Lebensweg von Kischs
Protagonisten Max Bair aus Tirol, der seine drei Kühe verkauft hat,
damit er vom Erlös für sich und seine Kameraden die Bahnfahrt nach
Paris finanzieren konnte, um von dort zu den Internationalen
Brigaden nach Spanien zu kommen; Lebenswege der Mitstreiter von Max
Bair. Das auffallend schön gestaltete Büchlein enthält ferner
zeitgenössische österreichische Dokumente, Fotos und die
Illustrationen von Amado Oliver Mauprivec aus Barcelona, getreu der
Erstauflage, die im Frühjahr 1938 im Amalien-Verlag der
Internationalen Brigaden in Madrid heraus gegeben worden ist. Das
Buch hat 176 Seiten, kostet in Italien 13,50, im übrigen
Verbreitungs-
gebiet 12,50 Euro.
November 2012
Verstoßene, verbrannte, ertrunkene Bücher
Die von der Pirkheimer Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift für
Buchkunst und Bibliophile MARGINALIEN veröffentlichte im 207. Heft
(3. 2012) einen Beitrag unter der Überschrift »Kischs verstoßene,
verbrannte und ertrunkene Bücher«. Dabei geht es zunächst um Kischs
Erstling »Vom Blütenzweig der Jugend«, eine Sammlung von Gedichten,
die Jung-Egonek zwischen dem fünfzehnten und achtzehnten Lebensjahr
verfaßt hat. Der kleine Band ist 1905 in E. Pierson’s Verlag
(Richard Lincke, k. u. k. Hofbuchhändler) in Dresden erschienen.
Mutter Kisch mußte dafür einen Druckkostenzuschuß von 200,-
Reichsmark zahlen. Zweitens wird die Bücherverbrennung am 10. Mai
1933 auf dem Opernplatz in Berlin behandelt. Kischs Name stand auf
der ersten Nazi-Liste von zwölf »Asphaltliteratur-Autoren«, deren
Werke öffentlich verbrannt worden sind. Drittens geht es um Kischs
einzigartige Bibliothek vornehmlich kriminalistischer und
historischer Werke – 40 Kisten mit 4000 Bänden – , die er 1933 aus
Berlin nach Prag rettete. Dort ist sie in einem Lager direkt an der
Moldau bei einem Hochwasser völlig vernichtet worden.
September 2012
Der einzige Roman
Die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat am 5. August in der
Rubrik »Fragen Sie Reich-Ranicky« eine Leserfrage zu Kisch
veröffentlicht. Die Antwort lautet: »Egon Erwin Kisch hat mit seinen
Büchern, zumal mit seinen Reportagen, sehr viele Leser gefunden.
Zwei oder drei Romane hat er geschrieben, allem Anschein nach
ziemlich rasch, jedenfalls waren es keine wichtigen Bücher. Der
eigentliche Gewinn von Kisch sind doch seine Reportagen. Glänzend
geschrieben ist sein Buch ‚Landung in Australien'. Als sehr
erfolgreich gilt, zu Recht, das Buch ‚Paradies Amerika'. Auch der
Titel ‚Marktplatz der Sensationen' fand viel Beachtung. Es fällt
auf, dass die Bücher von Kisch damals in der Bundesrepublik selten
gelesen wurden, wohl aber häufig in der DDR.« - In einem Punkt
allerdings irrt der Kritiker. »Der Mädchenhirt«, diese Geschichte
eines Zuhälters auf der Prager Moldauinsel Kampa, ist der absolut
einzige Roman, den Kisch geschrieben hat. Dann hat er sich vom Roman
wieder verabschiedet und ist auf der Spur der Tatsachen geblieben.
Und das, obwohl »Der Mädchenhirt« gute Kritiken bekommen hat. Die in
Leipzig erscheinende Zeitschrift Das literarische Echo
beispielsweise veröffentlichte im Juni 1914 eine Rezension von Paul
Leppin über das Buch. »Dies ist (seit langem wieder eins) mit einer
reizvollen Illusionskraft ausgestattet, die uns weitab von der Welt
des bedruckten Papiers die Geschichte des jungen Jaroslav wirklich
erleben läßt«, heißt es da. »Es ist ein rundes, künstlerisch
geschlossenes Buch, das Glückwünsche und Zukunft verdient.« »Der
Mädchenhirt« ist 1914 im Erich Reiss Verlag, Berlin erschienen. Bis
zum Machtantritt der Nazis sind in diesem Verlag fast alle
Kisch-Bücher zuerst verlegt worden.
August 2012
Kisch in Leipzig
Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke in Leipzig hat in
der Reihe »Fundsachen« den Titel »Leipziger Reportagen von Egon
Erwin Kisch« veröffentlicht. Als Herausgeber hat sich der Leipziger
Publizist und Literaturwissenschaftler Edmund Schulz verdient
gemacht. Seine Auswahl enthält Texte, die in der Mehrzahl zuerst im
Tagebuch, in der Weltbühne oder aber im Leipziger Tageblatt
veröffentlicht worden sind, bevor sie in Sammelbänden aufgenommen
wurden. Dazu gehören »Im Elternhaus der Reclam-Bändchen«, »Die
Giftschränke der Deutschen Bücherei« und »Der Brühl in Leipzig«. In
seinem Vorwort teilt Schulz erstaunliche Informationen über Kischs
Aufenthalte in Leipzig mit, über über Hintergründe und Zusammenhänge
betreffend der veröffentlichten Reportagen. Diese »Fundsache« umfaßt
31 Seiten und kostet 12 Euro.
Juni 2012 |
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