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Vorhang auf für
Egon Erwin Kisch
Wie der »Rasende Reporter« auch auf Theaterbühnen erfolgreich war
Der »Rasende Reporter« auf der Theaterbühne? Über den Theatermann
Kisch ist heute wenig bekannt. Aber seinerzeit waren seine Stücke
sehr populär und wurden auf den Bühnen in Prag, Berlin, Wien,
Mailand und anderen europäischen Städten mit Erfolg aufgeführt. Das
lag vor allem an Kischs Kunst, die Sensationen des Alltags aus
seinen Reportagen zu dramatisieren, so dass die Zuschauer »live«
dabei sein konnten. Anläßlich seines 60. Todestages am 31. März soll
hier eine Übersicht gegeben werden: Egon Erwin Kisch und die
Hintergründe seiner Stücke.
DIE HIMMELFAHRT DER GALGENTONI
Kischs erste Theaterproduktion mit dem Untertitel »Eine sehr Prager
Legende in drei Bildern« hatte am 22. Oktober 1921 in der
tschechischen Revolutionären Bühne Premiere. Regie hatte wie bei
fast allen Prager Kisch-Aufführungen der namhafte Emil Artur Longen.
Die Hauptrolle spielte seine Frau Xena Longenová. Sie war der
weibliche Bühnenstar jener Zeit in Prag und übernahm in der Regel
die weiblichen Hauptrollen in Kischs Stücken.
Die Geschichte der Liebesdienerin Tonka Sibenice, die vor dem
Himmlischen Gericht ihre Geschichte erzählt, einem zum Tode
verurteilten Mädchenmörder vor der Hinrichtung den letzten Wunsch
nach einem Liebesdienst erfüllt zu haben – weshalb sie anschließend
den Spitznamen »Tonka Sibenice« (Galgentoni) erhielt – existiert
neben der Dramatisierung in fünf Prosafassungen. Die »Galgentoni«
lieferte den Stoff für den ersten tschechoslowakischen Tonfilm. Im
Berliner Kabarett ‚Die Rakete‘ hat Rosa Valetti rund 200 Mal die
»Galgentoni« gespielt. Auch in Wien war sie in dieser Rolle zu
sehen.
DER MÄDCHENHIRT
Unter dem Titel »Pasáci, Pasáci...« (Ihr Hirten, Hirten ihr!) ist am
27. November 1921 in der Prager Revolutionären Bühne die
dramatisierte Fassung von Kischs einzigem Roman »Der Mädchenhirt«
(Pasáci) aufgeführt worden. Die Handlung spielt im Rotlichtmilieu
auf der Prager Moldauinsel Kampa. Im Mittelpunkt steht ein Zuhälter.
Auch dieser Stoff wurde in der Tschechoslowakei verfilmt und Ende
1929 in Prag uraufgeführt.
DIE REISE UM EUROPA IN 365 TAGEN
Das Stück – »Eine groteske Begebenheit in fünfzehn Bildern« – hatte
in tschechischer Fassung am 31. Dezember 1921 auf der Revolutionären
Bühne in Prag Premiere. Titel: »Aus Karlin nach Bratislava mit dem
Dampfer ‚Lanna 8‘ in 365 Tagen«. Kisch hat das Stück zusammen mit
seinem Freund Jaroslav Hasek.
Kisch war am 23. September 1920, früh 7.00 Uhr, an Bord des
Moldaudampfers »Lanna 6« mit zwei Mann Besatzung im Hafen Holesovice
in Prag zu einer Fahrt aufgebrochen, die ihn bis Anfang November
zunächst auf Moldau und Elbe über Dresden bis Hamburg, dann über die
Nordsee, Emden und auf dem Rhein über Köln bis nach Frankfurt/Main
führte. Der Dampfer fuhr schließlich über die Donau bis nach
Bratislava weiter und absolvierte eine Strecke von 2170 km.
DIE VERSTEIGERUNG VON CASTANS PANOPTIKUM
Mit der Uraufführung dieser Komödie unter dem Titel »Letzte Nacht in
Castans Panoptikum« hat Rosa Valetti Mitte November 1922 das neue
Theater »Die Rampe« am Kurfürstendamm in Berlin eröffnet. Die Proben
hat Kisch geleitet, in Gesellschaft seines Freundes Alfred Polgar.
Es handelt sich dabei um das berühmte Wachsfigurenkabinett, das
Louis Castan im Jahre 1875 in der prunkvollen Lindenpassage in der
Friedrichstraße Ecke Behrenstraße in Berlin eröffnet hatte und das
dann im Jahre 1888 in größere Räumlichkeiten in den gegenüber
liegenden Häuserblock verlegt worden ist. Am 24. Februar 1922 ist
Castans Panoptikum zwangsversteigert worden.
PICCAVER IM SALON GOLDSCMIED
Die Komödie »Das Geheimnis des Salons Goldschmied, Gemsengasse« ist
Ende 1923 von Emil Artur Longen im Rokoko-Theater in Prag inszeniert
worden. Dem Stück liegt die Reportage »Die Geheimnisse des Salons
Goldschmied« zugrunde, die in dem Band »Hetzjagd durch die Zeit«
aufgenommen ist. Es ist ein Bericht über die jahrhundertelange
Geschichte von Bordellen in Prag. Das berühmteste und berüchtigste
Etablissement zu Kischs Zeiten war der »Salon Goldschmied«.
Sylvester 1919 war die Abschiedsnacht. Der Besitzer hatte sich
angesichts öffentlichen Drucks entschlossen, Gebäude und Inventar
per 1. Januar 1920 zu verkaufen.
DER FALL DES GENERALSTABSBSCHEFS REDL
Die »Tragikomödie in fünf Akten des k.u.k. Generalstabs« hatte in
tschechischer Fassung am 22. Januar 1924 im Prager Rokoko-Theater
Premiere. Die Aufführung wurde 175 Mal wiederholt.
Oberst Alfred Redl, Generalstabschef des 8. Prager Korps der k. u.
k. österreichisch-ungarischen Armee und auch in die Spionageabwehr
involviert, hatte sich in der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1913 im
Wiener Hotel Klomser mit einem Browning erschossen, worüber am 26.
Mai eine kurze offizielle Pressemeldung erschienen war. Nicht
erschienen war dagegen am Sonntag zuvor zum Punktespiel von Kischs
Prager Fußballmannschaft »Sturm« der Verteidiger Wagner, von Beruf
Schlosser. Er entschuldigte sich damit, dass er kurzfristig geholt
worden sei, um eine Wohnung in Prag samt Schränken und
Schreibtischfächern aufzubrechen. Kisch kombinierte und brachte
seine Informationen in Form von »Wiener Gerüchten« in die Prager
Zeitung »Bohemia«. So kam der Fall ins Rollen: Redl hatte
Militärspionage betrieben – und Kisch ein Musterbeispiel für
Enthüllungsjournalismus geliefert.
Der Redl-Stoff ist mehrfach verfilmt worden. 1925, 1931, 1955 und
1985. Zuletzt in der Regie von István Szabó mit Klaus Maria
Brandauer, Armin Müller-Stahl und Gudrun Landgrebe.
SENSATION EINES JOURNALISTEN
Dieses Stück hatte am 5. November 1924 im Prager Rokoko-Theater
Premiere. Die Handlung basiert auf dem Bericht »Die Mutter des
Mörders und ein Reporter«. Es ist eine ergreifende Geschichte über
Mutterliebe und Menschenwürde und dreht sich um den Fall des Franz
Polanski, der unter Verdacht des Raubmordes verhaftet worden ist.
Der Reporter – Kisch – sucht die Mutter des Mörders auf, um
Einzelheiten über ihren Jungen zu erfahren. Sie klagt sich selber
an, redet sich um Kopf und Kragen. Da erscheint plötzlich Franz, der
Sohn. Der wahre Mörder ist inzwischen gefaßt worden – und der
Reporter verläßt die Wohnung, »ohne auch nur eine Zeile zu haben.«
DIE GESTOHLENE STADT
Die Prager Premiere dieser »Komödie in drei Akten« gab es in
tschechischer Fassung im Mai 1924 im Theater Apollo unter dem Titel
»Das gestohlene Prag«.
Die Komödie basiert auf der »Historischen Nachricht von dem
berüchtigten Gauner Christian Daniel Käsebier«. Dieser Erzfilou,
wegen seiner Verbrechen zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, war
während des Siebenjährigen Krieges im Juni 1757 zum Hauptquartier
Friedrich II. auf dem Weißen Berg vor Prag geholt worden, um die
Stadt für den Preußischen König zu »erobern«: Er sollte in die
hermetisch abgeriegelte, von österreichischen Truppen besetzte Stadt
eindringen, die Lage ausspionieren und dem König von Preußen
berichten. Der Stoff ist 1972 unter dem Titel »Die gestohlene
Schlacht« von der DEFA in Koproduktion mit dem Studio Barrandov Prag
verfilmt worden. Regie und Drehbuch Walter Stranka,
tschechoslowakischer Koregisseur Miroslav Kubista. In der Hauptrolle
als Käsebier brillierte Manfred Krug.
FERDA MESTEK DE PODSKAL, INHABER DES FLOHTHEATERS
Die Komödie »Wie Ferda Mestek de Podskal die Konzession fürs
Flohtheater einholte« hatte am 16. März 1925 unter der Regie von
Emil Artur Longen im Prager Rokoko-Theater Premiere. Dieses Stück
über ein Prager Original hat den Untertitel »Prager historische
Groteske aus der Zeit des Standrechts in den neunziger Jahren« des
19. Jahrhunderts und basiert auf dem Feuilleton »Dramaturgie des
Flohtheaters« aus der Sammlung »Die Abenteuer in Prag«.
Es geht dabei um die Lebensgeschichte von Ferdinand Mestek, der am
17. März 1858 als Sohn eines Prager Schneidermeisters geboren worden
ist und schließlich berühmt geworden ist als »ein Prager
Theophrastus und Hagenbeck, ein Cagliostro und Till Eulenspiegel
zugleich, allerdings im Flohformat.«
KISCH – DRAMATURG UND DERWISCH
Ganz abgesehen davon, dass Kisch bei verschiedenen Inszenierungen
seiner Theaterstücke die Proben geleitet hat oder daran beteiligt
gewesen ist, er war für einige Zeit sogar an einer renommierten
Bühne engagiert. Nachdem er im Juni 1913 nach Berlin gegangen war,
um sich hier eine Existenz aufzubauen, war er nicht nur
journalistisch tätig. Im Frühjahr 1914 wurde er am Deutschen
Künstlertheater Sozietät als Dramaturg engagiert. Sozietäre waren
auch die Stars Tilla Darieux, Lucie Höflich und Paul Wegener. Wohl
nicht ohne Stolz kokettierte Kisch damit, dass er als »unmittelbarer
Nachfolger Gerhard Hauptmanns zum Dramaturgen« ernannt worden ist.
Ein gutes Jahrzehnt danach spielte Kisch seinerseits eine
»herausragende Rolle« als Filmschauspieler. Er war für den Ufa-Film
»Die Frauengasse in Algier« – mit einer Gage von 10,- Mark pro Tag –
engagiert worden. Am Abend des 26. Dezember 1926 fuhr er als
Mitglied der Filmcrew von Berlin mit dem Nachtzug nach Marseille.
Bei den Außenaufnahmen in Algerien hatte er die Rolle des Komplizen
eines Mädchenhändlers zu spielen und die Heldin der Geschichte in
Gestalt von Camilla Horn ins Bordell zu bringen.
Jedoch bereits bei der ersten Aufnahme in Marseille war Kisch ins
Bild gesetzt worden: Der Film-Staatsanwalt, dem die Verfolgung des
Mädchenhändlers obliegt, fährt mit dem Auto im Hafen vor, um das
Schiff nach Algier zu besteigen. Als das Auto hält, so ist bei Kisch
zu lesen, »springt ein Detektiv in Strohhut und typischem
Detektivmantel herbei, um dem Chef aus dem Wagen zu helfen und nach
ihm das Fallreep zu besteigen.« Dieser Mann mit Filzhut, Sakko und
dem symphatischen Rücken – »daß mein Gesicht vor Neid erblaßte« –
ist kein anderer »als der demnächst berühmt werdende Filmdarsteller
E. E. K.«. So hat ihn die Film-Welt – Premiere am 10. Mai 1927 -
ohne es zu ahnen in einer Doppelrolle erlebt: Als
Mädchenhandelbekämpfungsassisten und als
Frauenhausbelieferungsgehilfen.
Na dann: Vorhang für Egon Erwin Kisch.
Veröffentlicht in: Neues Deutschland, 29./30. März 2008
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